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Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch

Titel: Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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Oder will sie nur höflich sein?
Ich hoffte Letzteres.
    Ich war leicht verwirrt, irritiert und - wenn ich ehrlich
     bin - auch pikiert.
Warum siezt sie mich? Sie trägt ein T-Shirt. Ich trage ein T-Shirt. Sie trägt Jeans. Ich trage Jeans. Wir sind doch beide irgendwie gleich, oder!?
    Das Problem war, dass nur ich das dachte.
    Und just in dem Moment, als ich annahm, es konnte nicht mehr schlimmer kommen, kam es schlimmer. Sie fragte mich: »Wie alt sind Sie überhaupt?« Aber nicht in der Art und Weise, um zu checken, ob ich alt genug war, um Alkohol zu trinken. Mit leichter Verzögerung antwortete ich leise: »Ich bin Mitte vierzig ...« Und hoffte auf Gnade.
    » MITTE VIERZIG ?«, wiederholte sie erstaunt.
    »Ja«, sagte ich kleinlaut.
    Und dann versetzte sie mir den Todesstoß, indem sie feststellte: »Mensch,
Sie
sind ja sogar älter als mein Vater.«

Wie geht's?/How are you?
    Was ist bloß mit meinen amerikanischen Landsleuten los? Sie fragen mich »Wie geht's dir?« und hauen dann ab, bevor ich überhaupt Zeit habe, richtig zu antworten. In solchen Situationen komme ich mir wirklich deutsch vor und merke, wie sehr ich mich in den letzten Jahren doch verändert habe.
    Ich war vor ein paar Jahren auf einer amerikanischen Hochzeit eingeladen und traf dort einen alten Freund, den ich lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Ich fragte ihn, wie es ihm ginge und er antwortete: »Great! And you?« Bis dahin lief alles noch ganz glatt. Aber dann fragte er mich nach meinem Befinden. Und während ich anfing, ihm von meinen Rückenproblemen zu erzählen, merkte ich, dass er mir bereits nicht mehr zuhörte. Nein, das stimmt nicht. Das konnte er gar nicht mehr, denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verschwunden, einfach fortgegangen, wahrscheinlich mit dem Gedanken:
Ich kann mich nicht so lange bei diesem Typen aufhalten. Ich muss noch fünfzig andere Leute fragen, wie es Ihnen geht.
Dabei wollte ich gar nicht so viel von seiner kostbaren Zeit in Anspruch nehmen. Vielleicht nur eine halbe Stunde. Mehr nicht. Ich wollte ihn nur kurz über meinen gesundheitlichen Zustand informieren. Und noch ein bisschen über Deutschland reden und vielleicht noch ein bisschen über Politik und Global Warming. Mehr nicht. Die Highlights halt.
    Das ist es gerade, was ich an Deutschland so liebe: Wenn dir hier jemand eine Frage stellt, dann will diese Person
wirklich eine Antwort bekommen. Sonst hätte sie die Frage nicht gestellt. Und schnell habe ich gelernt, dass diese Antwort nicht knapp ausfallen darf. Nein, nein, hier in Deutschland erwartet man eher Thomas Mann'sche Ausmaße, wie es sich für das Land der Dichter und Denker gehört. Diese Tatsache bekam ich gleich nach meiner Ankunft in Deutschland zu spüren. Menschen, die ich kennenlernte, stellten mir Fragen wie:
    »Wo kommen Sie her, Herr Doyle?«
    »Was machen Sie in Deutschland, Herr Doyle?« und
    »Wann gehen Sie wieder zurück, Herr Doyle?«
    Und bei all diesen Fragen merkte ich sehr schnell, dass tatsächlich ausführliche Informationen erwünscht waren. Diese Leute wollten keine Floskeln von mir hören wie »Germany is great!« oder »Germany is fantastic!«. An einem verregneten Tag wartete ich an einer Haltestelle auf den Bus. Um die peinliche Stille zu durchbrechen, fragte ich einen ebenfalls wartenden Mann: »Why does it rain so much in Germany?« Wenn der Typ Amerikaner gewesen wäre, hätte er vermutlich geantwortet: »I also hate it when it rains.« Aber weil er Deutscher war, antwortete er: »Das hat mit dem Tief Detlef zu tun, das wegen der hohen Temperaturen im Mittelmeerraum viel Feuchtigkeit aufnimmt.« Ich dachte nur:
Ja, genau. Tief Detlef. Wegen der Feuchtigkeit. Und der hohen Temperaturen im Mittelmeerraum.
Ich verstand kein Wort. Aber das Ganze klang trotzdem ziemlich überzeugend.
    Jahre später lief im Fernsehen ständig dieser Werbespot, in dem Helmut Markwort, Chef des Focus-Magazins, predigte: »Fakten, Fakten, Fakten - und an die Leser denken.« Mir war damals wie heute klar: Die Deutschen haben ein echtes Bedürfnis nach Fakten! Und weil das so ist, schauten
mich früher viele Leute total komisch an. Auf Partys zum Beispiel, wenn ich ihnen nur mitteilte: »Ich komme aus New Jersey« und dann schwieg. Heute weiß ich, warum das nicht so gut ankam. Nicht weil die anderen Gäste komisch drauf oder - wie wir Amerikaner sagen - »strange« waren, sondern weil sie halt ein ausgeprägtes Faktenbedürfnis hatten, ein riesiges Faktenbedürfnis. Deswegen

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