Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch
den USA mit »Good evening, my very honorable ladys and gentlemen« anfangen würde, würden viele amerikanische Fernsehzuschauer wahrscheinlich vom Stuhl fallen und sich fragen: »Who is he talking about? Who are these
very honorable
people he is talking about?«
Aber so ist Deutschland halt. Nicht schlechter als Amerika und auch nicht besser, sondern an sich nur ein bisschen förmlicher. Schnell habe ich festgestellt, dass Leute, die sich
zum Beispiel noch nicht so richtig kennen - besonders wenn sie ein bisschen älter sind —, sich förmlich mit einem »Guten Tag« begrüßen. Und erst wenn sie sich zuvor schon, sagen wir, hundert bis zweihundert Mal »Guten Tag« gesagt haben, schwenken sie vielleicht zu einem lockeren »Tag« um. Und wenn die Sache so richtig gut läuft, kann es passieren, dass einer von ihnen das Wort »Tagchen« einstreut. Aber an dieser Stelle ist Vorsicht geboten, denn wenn man das zu früh zu jemandem sagt, könnte es falsch aufgenommen werden. So erging es mir zumindest mit meinem Nachbarn.
Ich schätze ihn auf vielleicht Ende sechzig, und nachdem ich monatelang zu ihm »Guten Tag« gesagt hatte, dachte ich:
Vielleicht kann ich jetzt einfach mal die »Tag-Ebene« überspringen und ihn ab sofort mit »Tagchen« begrüßen!?
Und genau das machte ich am darauffolgenden Morgen. Da begegnete ich nämlich meinem Nachbarn, der gerade seine Zeitung beim Kiosk gekauft hatte. Als wir direkt voreinander standen, schaute ich ihn freundlich an und sagte so selbstbewusst wie möglich: »Tagchen.« Seine Reaktion erinnerte mich schwer an Ellis, als sie mir das erste Mal begegnet war. Eine Mischung aus Überraschung, Verwirrung und leichter Empörung. Nein, sagen wir, großer Empörung, als hätte ich ihm gebeichtet: »Ich geb's zu: Ich stehe immer noch auf Dominas mit großen Peitschen!« Aber das hatte ich nicht gesagt. Nicht einmal
gedacht!
(Okay, gedacht schon!)
Ein ähnliches Problem habe ich auch immer noch bei der Frage: Duzen oder Siezen? Wenn ich ehrlich bin - und ich möchte natürlich so ehrlich wie möglich sein —, habe ich manchmal überhaupt keine Ahnung, ab wann ich jemanden hier in Deutschland duzen darf. Denn hier ist es manchmal wirklich schwierig zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt
dafür ist. Sofort? In einem Jahr? Nie? Manche behaupten, dass »Sein oder Nichtsein?« die wichtigste Frage im Leben sei, aber für mich sind die Fragen »Duzen oder Siezen?« und »Und ab wann darf man jemanden überhaupt duzen?« mindestens genauso wichtig.
In Amerika gibt es diese Entscheidungsmöglichkeiten erst gar nicht, denn wir haben kein »du« oder »Sie« oder »dich« oder »Ihnen«, sondern nur ein »you«. Alles ist »you«. Überall ist » YOU «:
»How are you?«
»Nice to meet you.«
»Fuck you!«
Alles ist »you«! Der Tellerwäscher sagt »you«. Die Lehrerin sagt »you«. Auch Präsident Barack Obama sagt »you«. Und das Verrückte ist: Es ist immer das gleiche »you«! Sogar der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl bot dem früheren US -Präsidenten Bill Clinton das »you« an. Er schaute Clinton tief in die Augen und sagte: »Mr. President, you can call me
you.«
Ich kann mir vorstellen, dass Bill Clinton in diesem Moment dachte:
Helmut, ich habe zwar überhaupt keine Ahnung, was du mir sagen willst, aber Hauptsache, du hast das Wort » YOU « verwendet!
Mein größtes Problem in dieser Angelegenheit ist vor allem, dass ich andere Leute oft zu früh duze. Viel zu früh. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre fast immer das Bedürfnis, Menschen von Anfang an zu duzen. Meistens schauen mich dann die Leute nur ein bisschen komisch an nach dem Motto:
Kein Problem. Du bist Ami und du weißt es nicht besser.
Und reden einfach mit mir weiter. Meistens geht es gut aus.
Aber manchmal eben auch nicht.
Einmal habe ich zum Beispiel eine alte Frau hier in Deutschland zu früh geduzt. Und ich merkte sofort, dass es
ein Fehler gewesen war. Sie fing nach meiner Frage, »Wie geht es
dir?«
an, am ganzen Körper zu zucken. Dann klärte sie mich leicht vorwurfsvoll auf: »Junger Mann, das machen wir nicht so in Deutschland. Erst siezt und nach einer Weile duzt man sich.« Ich antwortete spontan und hirnlos (wie ich manchmal bin): »Ja, aber du bist sehr alt!«
Bei
dieser
Antwort zuckte sie wieder zusammen, aber diesmal richtig.
Ich glaube, mein Fehler war in diesem Fall, dass ich die Lage falsch eingeschätzt hatte. Ich war zuvor nämlich folgender Meinung gewesen:
Neben
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