DoppelherzTOD
Streichhölzer in seinen Taschen gehabt. Heute nicht. Brigitta Johannsen zog aus ihrem Mantel ein Zippo und hielt es sich selbstbewusst an die Zigarette. Die war sehr lang und sehr dünn. Ehrlicher hatte keine Gelegenheit, die Rolle des Kavaliers weiterzuspielen.
»Irgendwann werden sie uns auch noch den Sekt im Café verbieten. Früher durfte man in der Straßenbahn rauchen.«
»Time goes by.«
»Eine gewisse Ähnlichkeit mit Humphrey Bogart kann ich Ihnen nicht absprechen, Herr Kommissar.«
Er schmolz unter ihrem Lächeln. Mein Gott, diese Frau flirtete wirklich mit ihm! Sie brachte ihn aus der Fassung. Sein Leben war immer im Gleichmaß seinen Gang gegangen. Nach der Pensionierung und davor. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn das letzte Mal eine Frau aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Nach Frederike keine Einzige. Und ob er sich bei Frederike beim ersten Rendezvous auch so unsicher gefühlt hatte, wusste Ehrlicher nicht mehr. Wie hatte er sie eigentlich kennengelernt?
Brigitta Johannsen inhalierte. Auch das tat sie mit Grazie. Ehrlicher stand etwas verloren und nicht rauchend daneben. Ein Fahrradkurier klingelte sie an die Hauswand. »Unverschämt!«, sagte Ehrlicher leise. Muttis und Vatis mit Einkaufsbeuteln trotteten an ihnen vorbei. Eine Limousine hatte sich verirrt und versuchte zu wenden. Drinnen konnte nur ein Großkotz sitzen, der Normalbürger fuhr nicht mit dem Auto in Leipzigs City. Brigitta Johannsen drückte die Kippe in den dafür vorgesehenen Behälter. Ehrlicher hielt ihr die Tür auf.
Sie setzten sich und schwiegen und nippten Prosecco. Nach einer kleinen Ewigkeit sagte Ehrlicher, nur um überhaupt etwas zu sagen: »Frieder Hosfeld glaubt nicht an einen Selbstmord.«
»Ach, der Frieder, der ist wohl sein Leben lang Kommissar und kriegt das nie wieder los. Ist das bei Ihnen auch so? Das wäre sehr schade.« Ehrlicher schaute offensichtlich verdutzt, denn Brigitta Johannsen erklärte. »Überall wittert der Frieder Untaten und Betrügereien. Der Heimleitung schaut er genau auf die Finger. Seine Schränke hält er fest verschlossen. Und er hat schon einmal Strafanzeige gegen unbekannt erstattet, weil ihm ein Tod im Haus Roseneck nicht natürlich erschien. Ist nicht ganz einfach mit ihm. War der Frieder schon immer so ein Querulant?«
Ehrlicher dachte nach. Eigentlich nicht, Frieder war nicht angeeckt, er hatte Karriere machen wollen. Trotzdem antwortete Ehrlicher: »Könnte man sagen.«
»Vielleicht meint der gar, sie wurden ermordet. Aber die Polizei wird nichts Ungewöhnliches auf dem Tisch und in der Wohnung finden. Toastbrot, Butter, Käse. Frisch gekochte Eier, Hans-Jürgen mochte sie viereinhalb Minuten weich.« Brigitta Johannsen versank in ihrer Erinnerung. »Die Marmelade war noch von der Meta, seiner Gattin. Zitrone-Apfelsine. Ein paar Konfitürengläser von ihr hatte Hans-Jürgen noch immer im Schrank. Die hält sich Jahre.«
»Wie dem auch sei.« Sie sahen sich in die Augen. Nur um die Gegenwart dieser Frau zu verlängern, bestellte sich Ehrlicher doch ein Stück Quarktorte. »Ich muss auf keinen Diätplan achten.«
Brigitta Johannsen lachte. »Nein, das müssen Sie nicht!« Und sie bestellte das Gleiche. »Aber wenn wir schon zusammen hier schlemmen, wollen wir nicht Du zueinander sagen? Ich bin die Brigitta.«
Ehrlicher wollte nichts lieber. Er hätte auch gern den Kuss erhalten, der ihre Brüderschaft besiegelte, aber Brigitta Johannsen tat nichts, was ihn dazu ermutigt hätte. Schade. Irgendwie schade. Er verschluckte sich am Prosecco. Brigitta Johannsen schlug ihm auf den Rücken.
8.
»Wissen Sie, was Sie falsch gemacht haben?«
Der Bulle hatte Kain erwischt. Uniform, Koppel, Pistole und ein in Stein gemeißeltes Gesicht. Mit diesem Mann zu verhandeln würde ihm nicht gelingen, der kannte seine Macht und seine Befugnis und die Gesetze. Kain verzichtete auf Widerstand und gestand seine Schuld ein. »Ja, ich habe die Straße bei Rot überquert.«
»Ihren Ausweis, bitte!«
Kain zog ihn aus der Potasche seiner Jeans. Der junge Beamte las seine Daten, als wäre er Analphabet. Dann zückte er ein Protokollheftchen und notierte.
»Tun Sie so etwas öfter?« Der Polizist blickte ihn von unten her an. Kain bemerkte einen Kratzer am Augenlid, wahrscheinlich von seinem Versteck im Gebüsch, um dann ehrbare Bürger zu überfallen. So hatte Kain sich niemals auf Streife benommen. Wegelagerer, dachte er und bemerkte, dass der Polizist alle Vorurteile gegen
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