0805 - Krallenhand
So auch Fiona!
Sie wusste nicht mehr, wie sie der Falle entrinnen sollte. Sie schaute zurück. Dort befand sich die Tür zu dem Zimmer, in dem sie nach ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war und die seltsamen Geräusche gehört hatte. Noch immer klangen die unheimlichen Laute in ihren Ohren nach. Bei jedem Schritt über die Bohlen hatte es sich angehört, als splitterten oder knirschten Knochen.
Dieses weiße Haus auf den Klippen war nicht normal. In ihm wohnte das Böse, der Schrecken, alles Grausame, das sich ein Mensch nur vorstellen konnte. Und seine Bewohnerin war die Schlimmste von allen. Sie hütete dieses Haus und brachte mit ihrem Totenblick alles zum Schweigen, denn sie war es, die befahl.
Fiona atmete schwer. Die Angst hatte ihr den kalten Schweiß aus den Poren getrieben. Sie wagte es nicht, ihn wegzuwischen, die andere hätte diese Geste falsch einstufen können. Und dann kam sie vor.
Sie ging nicht, sie schwebte. Es war nichts zu hören. Schattenhaft glitt sie durch den Gang, als hätte jemand ein Tuch geworfen und einen Körper darauf gemalt.
Sie war das Versprechen, sie war der Tod, und nichts würde sie davon abhalten.
Kalt wurde es – eisig kalt!
Fiona fror, als wäre ihr Rücken mit Eis eingerieben worden.
Dennoch rührte sie sich nicht, denn diese nicht normale Kälte war bereits der Vorbote des Todes.
Sie kam näher und näher…
Sie brachte die Kälte mit, und Fiona hörte sich selbst mit den Zähnen klappern. Sie zitterte und spürte unter ihren Füßen, wie der Boden allmählich nachgab. Die Bohlen wurden weich, sie schienen sich zu öffnen, um sie zu verschlingen.
Das Totengesicht schwamm plötzlich vor ihr. Es war ein großes Gesicht, viel größer als das eines Menschen, und der Gesichtsausdruck war böse und leer.
Dann der Mund. Wie gezeichnet. Zwei schmale Lippen, darüber die Nase, das mörderische Grinsen und wieder diese verfluchte Kälte, dass Fiona umgab wie ein Kokon.
Der Tod war da.
Der Tod schlug zu!
Waren es Hände, die sich auf ihre Brust legten, waren es Schatten, die sie umgaben? Fiona Finley wusste es nicht. Plötzlich fror ihr Blut ein, sie versteifte im Stehen, und sie hatte das Gefühl, als würde sie ausgesaugt. Verlor sie das Leben, die Seele…?
Dann schwankte sie. Mal kippte sie nach rechts, dann wieder nach links. Die Gedanken, die ihr durch den Kopf wirbelten, konnte sie nicht in eine Folge bringen, denn die Eiseskälte, der Gruß aus der Totenwelt, hielt sie in ihren Klauen.
Die Frau sank in die Knie!
Ein letzter Wehlaut drang aus ihrem Mund, den sie nicht mehr schließen konnte. Er blieb verkrampft offen, als sie den Boden berührte und zu einer regungslosen Person wurde, über der die Frau mit dem Totengesicht wie ein höllischer Engel schwebte.
Sie war zufrieden, denn in dieser starren Person steckte kein Funken Leben mehr.
Mit einer lautlosen Bewegung drehte sie ab, wehte durch das Haus und löste sich auf. Es sah aus, als wäre sie von den alten Wänden verschluckt worden, und tief aus dem Boden erklang ein zufriedenes Stöhnen, als würde sich das weiße Haus auf den Klippen darüber freuen, wieder eine neue Beute bekommen zu haben…
***
Dass James Hurt nicht mehr der Jüngste war, wusste er. Deshalb störte es ihn auch nicht, wie sehr er stöhnte, denn dies war ihm vergönnt. Schließlich lag die in einen Teppich eingerollte Frau auf seiner Schulter, und er musste sie so schnell wie möglich wegschaffen.
Wenn er dann auch Finley fortgeschafft hatte, würde er den Rover der neuen Person wegfahren, und niemand würde Verdacht schöpfen.
Sein Atem drang nur schwer über die Lippen. Bei jedem Schritt schwankte der Mann. Zudem lief er Gefahr, seine Beute zu verlieren, sie rutschte auf der Schulter hin und her, des Öfteren musste er nachfassen, was nicht ohne Mühe geschah, denn jede Bewegung schmerzte seinen alten Knochen.
Er war auf einem Schleichweg in Richtung Strand gelaufen, denn nur von dort konnte er das weiße Haus auf den Klippen ungesehen betreten. Er wusste den Weg, vielen anderen war er verschlossen geblieben, was ihm natürlich sehr entgegenkam, so blieb das Geheimnis zwischen ihm und seiner Frau gewahrt.
Das harte Dünengras wuchs hoch. Die Dünen selbst bildeten Buckel, zwischen denen er sich bewegen konnte, ohne vom Ort aus beobachtet zu werden.
Das Meer lag links von ihm. Eine gewaltige graue Fläche mit silbrigen Kämmen, die immer wieder gegen die Küste liefen und teilweise im breiten Sandstreifen versickerten.
Die
Weitere Kostenlose Bücher