DoppelherzTOD
Vielleicht sollte er jetzt, wo er Pensionär war, Kontakt aufnehmen. Sie würden sich wundern.
»Wir kannten einander ja gut. So hat mir Hans-Jürgen seinen Schlüssel gegeben.«
»Und da haben Sie sie heute entdeckt.« Es war eine Feststellung. Ehrlicher wollte sich gern mit Brigitta unterhalten, aber beim ersten Treff nicht über das Sterben diskutieren.
»Hoffentlich kam der Tod schnell und ohne Schmerzen.« Von sich aus wechselte Brigitta Johannsen nicht das Thema.
»Selbstmord? An etwas anderes haben Sie gar nicht gedacht? Einen Unfall zum Beispiel?«
Brigitta ihm gegenüber zögerte. Ihre Hände zitterten leicht, als sie das Glas zum Mund führte. »Eigentlich nicht. Margot und Hans-Jürgen haben manchmal in solchen Andeutungen von einem friedlichen Ende gesprochen. Man nimmt solche Sätze nur niemals ernst. Sie kennen das sicherlich aus Ihrem Beruf.«
»Das kam schon vor.«
»So hat es mich nicht sehr gewundert, muss ich Ihnen sagen. Vielleicht waren sie krank, Hans-Jürgen wurde erst vor einem Jahr am Darm operiert. Er hatte gesagt, es sei gutartig. Aber ich glaube, Krebs.«
»Ich möchte auch nicht meine letzten Monate an den Apparaten verfaulen.«
»Ja, und deswegen nehme ich an, haben sich die beiden vergiftet.«
Hoffentlich sprach Brigitta Johannsen nur heute so intensiv über das Thema. Aber der Tod war in Altersheimen immer präsent. Auch ein Grund, sich dort kein Zimmer zu nehmen. Und überhaupt, Ehrlicher war keine neunzig, er hatte das Leben noch vor sich. Zumindest noch viele Jahre.
»Im Netz kann man ja über den Selbstmord gut recherchieren. Da werden einem die schnellen Wege erklärt.«
»Sie kennen sich aus mit dem Internet?« Ehrlicher war überrascht. Er hatte seine Berichte mit zwei Fingern auf dem Computer geschrieben, mehr aber mit diesem Ding nie anfangen können. Und jetzt saß er einer gleichaltrigen Dame gegenüber, und die erzählte vom Internet, als würde sie täglich drin surfen.
»Viele Leute, die den letzten Schritt gehen wollen, informieren sich im Internet.«
»Ich habe davon gehört.« Das hatte Ehrlicher wirklich. »Aber eine Lösung scheint mir das nicht zu sein. Jugendliche und Kinder nutzen das Internet, nicht Oma und Opa.«
»Aber auch in unserem Alter ist noch nicht alles vorbei, lieber Herr Ehrlicher.« Darauf hob Brigitta Johannsen ihr Glas und trank es aus. Ehrlicher deutete ihren Blick richtig und winkte der Bedienung, die in der Nähe stand: »Noch einmal dasselbe.«
»Ganz Kavalier der alten Schule.« Brigitta Johannsen lächelte. Ehrlicher hoffte, dass ihm sein Lächeln gelang.
Außer Ehrlicher und Brigitta Johannsen saßen vornehmlich Alte in dem noblen Café. Es war ihm niemals aufgefallen, dass Restaurants und Bars von immer dergleichen Klientel aufgesucht wurden. Im Waschsalon funktionierte das Nachmittagsgeschäft nicht. An den Tischen ditschten keine Damen mit Hut ihren Kuchen in den Kaffee oder tranken Prosecco. Genauso wenig wie Rotzlöffel dort ihre Energy-Drinks kippten. Bei Frederike traf sich die Szene, oder was sich dafür hielt. Das Schauspielhaus und Galerien lagen um die Ecke, deshalb waren Künstler oft Gäste. Manche stopften dort wirklich ihre Kleidung in die vorhandenen Waschautomaten. Ja, der Salon war gut für das Bier am Abend, wenn man es nicht allein trinken wollte. Im Café, in dem Ehrlicher jetzt saß, war alles sehr edel und kultiviert und passte ausgezeichnet zu seiner Begleitung. Holzvertäfelte Wände. Rattanstühle und Marmortische. Die Karte kurz und gediegen. Die Kuchenauswahl sehr groß. Städtereisende kamen auf ihren Exkursionen gern hier vorbei und bestellten. Die Preise waren den Touristen und dem Chic sehr angemessen.
»Vielleicht ein Stück Kuchen?« Ehrlicher stellte die Frage aus Verlegenheit, er wollte nicht, dass ihre Unterhaltung so einfach vorbei sei.
»Ich achte auf meine Figur. Ich befinde mich gerade in einer Kur, wissen Sie.«
»Diät haben Sie doch nicht nötig!« Mit seinem Gesprächsangebot war er gescheitert. So abschätzig, wie ihn Brigitta anblickte, würde es schwer sein, ein anderes Thema zu finden. Ehrlicher nickte und schwieg.
»Vielleicht gehen Sie mit mir auf eine Zigarette?« Sofort erhob sich Ehrlicher und bot Brigitta Johannsen seinen Arm. Die Kellnerin blieb fragend mit den Gläsern Prosecco vor ihnen stehen. »Stellen Sie nur hin. Wir kommen gleich wieder.«
Das Wetter war sonnig, wenn auch noch nicht warm. Ehrlicher suchte nach Feuer, als Kommissar hatte er stets
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