DoppelherzTOD
beschuldigt mich, Annetta versteckt zu haben. Ich habe meine Tochter seit Wochen nicht mehr gesehen. Ich würde Zeitungsannoncen schalten, in seiner Heimat suchen, wenn ich das Geld dafür hätte. Aber auf der Sozialbehörde kann ich solche Ausgaben nicht abrechnen. Sie geben mir dafür keinen Kredit.«
»Ja.« Mehr fiel Kain zu diesem Fall nicht ein. Sie liefen die Nikolaistraße entlang. Hier gab es Schuhe, Kleider und Accessoires neben der Mode. Hier könnte er für Eva nach etwas Ungewöhnlichem suchen. Jetzt klebte ihm jedoch Rebecca Loepki am Hacken. »Ich will Sie nicht aufhalten, wir sehen uns sicher bald wieder.«
»Es tut gut, sich mal mit jemandem auszusprechen. Im Café haben Sie ja immer zu tun.«
Frederike hatte recht, Rebecca Loepki wollte mehr von ihm. Er hatte ihre diskreten Annäherungsversuche, ihre Blicke gern übersehen und sie absichtlich missverstanden. Der Augenaufschlag jetzt war eindeutig. Wenn er schroff reagierte, litt sie noch mehr. Es würde keine Affäre geben. Kain liebte Eva und fand Rebecca Loepki weder attraktiv noch beeindruckte es ihn, dass eine so junge Frau ihn anhimmelte. Es war Mitleid, das ihn lächeln ließ. Mitleid einer Frau gegenüber, die eine private Katastrophe erlebte und keinen Ausweg mehr wusste.
Ich würde nicht alles glauben, was sie erzählt. Wir haben Spuren, die sich einfach nicht mit ihrer Aussage decken. Walters Stimme war in seinem Ohr. Du kannst doch die Dame einfach mal so nebenbei fragen. Vielleicht antwortet sie dir.
»Ich muss auf Arbeit.«
»Ich wollte sowieso bei Ihnen einen Kaffee trinken. Gehen wir zusammen?«
Kain wusste keine Ausrede, die das verhindert hätte. Das Geschenk für Eva konnte er vergessen, und im Waschsalon würde er eine Stunde zu früh ankommen. Isabell würde lächeln, wenn er mit der Loepki eintreten würde. Die Studentin hatte es immer gewusst und zu ihm gesagt: Männer reagieren, sobald ihnen eine Frau schöne Augen macht. Vielleicht hatte Isabell mit ihrem Gregor sogar darauf gewettet, dass er schwach werden würde. Vielleicht sogar mit Frederike?
»Oder hatten Sie etwas anderes vor?«
Kain schüttelte seinen Kopf. Sie gingen schweigend nebeneinander. Du kannst doch die Dame einfach mal so nebenbei fragen. »Ist nicht ganz einfach, was?«
»Seit Annetta nicht mehr zurückkam, ist nichts mehr so, wie es war.«
Kain antwortete nicht, im Ohr immer nur Walters Stimme, betrachtete er diese Frau mit anderen Augen. Würde nicht jede Mutter in solch einem Fall verzweifelt jede Chance nutzen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihr Kind wieder in die Arme nehmen zu können? Aber vielleicht hatte Rebecca Loepki all das schon getan. Vielleicht hatte sie resigniert.
»Die Wiege ist leer. Sie steht noch immer neben meinem Bett. Ich schaukle sie und wünsche mir ihr Weinen zurück.« Rebecca Loepki verschluckte wohl selbst gerade die Tränen. »Und was hab ich ihr Schreien manchmal gehasst! Meine Mama sagte dann immer: Du hast genauso geschrien, mein Kind. Tja, Mutter werden ist nicht schwer.«
Auf dem Nikolaikirchhof ließen sich Touristen von der Wende erzählen. Vorm Kirchenportal streckten die Bettler die Hände. Offen für alle hieß noch immer das Motto, das die Unzufriedenen und Engagierten seit mehr als 25 Jahren zum Montagsgebet rief. Ein alter Mann spielte Akkordeon. La Paloma. Am Himmel kreischten die Krähen. Rebecca Loepki erzählte. Du kannst doch die Dame einfach mal so nebenbei fragen. Walter, das ist nicht fair! Kain hörte den Satz immer und immer wieder.
»Ihre Mutter hat sich über das Enkelchen nicht gefreut?«
»Doch, sie hat Annetta über alles geliebt.«
Kain hörte den Widerspruch. Gegen den Vater wird ihre Mutter etwas gehabt haben. Mütter haben stets eigene Vorstellungen, wie Schwiegertochter oder Schwiegersohn aussehen müssen. Seine Mutter hatte an jeder Freundin etwas zu mäkeln gehabt, gesagt hatte sie nichts. Sie hatte all seine Mädchen ertragen. Die meisten hatte er ihr nie vorgestellt. Und mit Eva und Felix war er noch immer nicht bei ihr in Radeburg gewesen. Hatte er ihr von seiner Familie am Telefon berichtet?
»Meine Mama liebte Annetta. Dijamal hat meine Mutter nie akzeptiert. Als ich mich von ihm trennte, hat sie mich unterstützt. War immer da, wenn ich aufs Amt rennen musste oder auch sonst. Hat Wäsche gewaschen, Breichen gekocht. Ich konnte abends mal wieder zur Disco, dann hat Mama an Annettas Bettchen gesessen. Jetzt ist meine Mutter sehr krank. Sie braucht ihre
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