DoppelherzTOD
kleinen Augen waren ganz starr. Sie war tot. Ich habe es sofort begriffen.«
Rebecca sprach mehr für sich, als dass sie Kain den Unfall gestand.
»Meine Mutter hat mir Annetta aus den Armen gerissen und geschüttelt und geschüttelt. Schaum und Milch sind der Kleinen aus dem Mund gelaufen. Es war ganz ekelig.« Rebecca strich sich die Haare aus ihrer Stirn. Sie blickte Kain vorwurfsvoll an. »Zu einem Arzt konnten wir doch nicht gehen.«
»Nein«, sagte Kain, ohne dass er es wollte.
»Ich habe Annetta dort in ihre Wiege gelegt. Tag und Nacht habe ich davor gesessen. Ich habe gebetet, obwohl ich das gar nicht kann. Aber es war vorbei, nichts mehr zu machen.«
Kain fuhr mit seiner Hand über die Plaste des Wickeltischs und verzerrte die Clownsgesichter noch einmal. »Warum hast du Dijamal die Schuld in die Schuhe geschoben?«
»Mutti hatte die Idee. Sie konnte meinen Mann nie leiden. Dijamal war ihr zu fremd, falscher Charakter und eine andere Religion. Meine Freundinnen hatten mit ihm nie ein Problem. Ich zuerst auch nicht. Ich habe ihn einmal geliebt.«
»Deine Mutter hat die Entführung bei der Polizei angezeigt?«
»Nein, Mutti hat nur gemeint, nach allem, was Dijamal mir angetan hatte, hätte auch er eine Strafe verdient. Wäre er bei mir geblieben, wäre der Unfall gar nicht passiert. Mutti hätte sich nicht kümmern müssen. Annetta hätte einen Vater gehabt. Aber Dijamal hatte ich auf ihren Befehl hin rausgeschmissen. Und dann war ich allein. Ganz allein.«
Rebecca stand auf und blickte aus dem Fenster. Kain stellte sich neben sie. Es schneite noch immer. Die Flocken schienen immer größer zu werden. Rebecca und Kain schauten wortlos auf die Straße. Vorm Getränkestützpunkt hielt ein Lkw. Eine Oma stützte sich schwer auf einen Stock. Ein blauer Kleinwagen blinkte links. Ein Mazda, schloss Kain nach der Form der Karosserie.
Er fühlte sich unwohl. Rebecca hatte ihm nicht als Kriminalisten vertraut, sondern als Menschen. Er konnte Walter oder der Schabowski von diesem Geständnis nichts erzählen. Das wäre sein endgültiger Verrat an Rebecca. Aber Kain musste davon berichten. Das war seine Pflicht. Rebecca hatte nicht länger schweigen können. Er konnte mit diesem Geheimnis nicht leben, er musste es Walter erzählen. Einmal Kriminalist, immer Kriminalist! Aber die Anzeige widerstrebte ihm. Er hatte Rebeccas Geständnis auf unfairem Wege erhalten. Er war ein Schwein. Warum hatte Walter ihn in solch ausweglose Situation hineinmanövriert? Rebecca weinte still neben ihm.
»Wir müssen zur Polizei gehen.«
»Müssen wir nicht! Die wird ihre Ermittlungen einstellen, wenn man Annetta nicht findet. Ich will nicht ins Gefängnis, Mutti geht dran kaputt. Ich habe mein Kind nicht getötet!«
Doch, dachte Kain und wusste, dass sie Annetta finden würden. Spätestens, wenn sie in Abteilung III neue Gräber aushoben. »Es war ein Unfall. Du wirst nicht ins Gefängnis müssen.«
»Und Annetta graben sie wieder aus. Sie hat ihr Grab eben erst gefunden.«
»Du kannst den Tod deiner Tochter nicht dein ganzes Leben lang verschweigen. Alles immer nur mit sich selbst abmachen, Rebecca, das geht nicht. Erst recht nicht in so einem Fall. Du gehst dran kaputt. Du musst reden, Rebecca. Mit mir hast du es doch gerade eben auch gekonnt.«
Rebecca schwieg. Auf der Straße hupte ein Auto. Aus einem der Fenster gegenüber winkte ein alter Mann. Weder Kain noch Rebecca winkten zurück.
»Du bist ein guter Mensch.« Sie schaute ihn fast glücklich an. »Das habe ich sofort erkannt. Du hast recht, ich musste es jemand erzählen. Schweigen kann einen wahnsinnig machen.«
Rebecca lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Kain legte den Arm auf ihre Hüfte, dabei wusste er, dass es wieder die falsche Geste war. Er gab Rebecca Anlass zu neuen Hoffnungen. Aber was sollte er tun?
Ein Lufthauch bewegte das Windspiel unter der Lampe. Die Wohnungstür war geöffnet worden. Eine Frau stand im Zimmer. Grauer Mantel. Hut. Halbhohe Stiefel. Die Haare hingen ihr nass ins Gesicht. Die Wassertropfen glänzten matt. Rebecca Loepki drehte sich um. »Hallo Mutti, du bist schon da?«
Frau Loepki lächelte nicht. Sie musterte Kain. Ihre Stimme war kalt. »Rebecca, wer ist das?«
Rebecca antwortete nicht, sie sah ängstlich zu Kain.
Die Frau kam auf sie zu und blieb vor Kain stehen. Er konnte ihren Atem spüren. Ihre Augen blickten gnadenlos. Dann schrie sie ihre Tochter an: »Du hast ihm alles erzählt! Du bist doch zum Scheißen zu blöd.
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