DoppelherzTOD
wollte bei der Gelegenheit mal nach ‘nem Anzug… was man eben so macht. Die Silke heiratet doch. Und der hier ist ja auch nicht mehr das neueste Modell.« Walter strich sich übers Jackett. Das Leder auf den Ellenbogen schien per Hand aufgesteppt. Die Knie schlugen Beulen, stellte Kain fest.
»Große Rechnungen kannste mit Karte bezahlen. Zumal im Kaufhaus. Sogar Frederike verlässt sich hier im Salon auf diese Technik. Ab fünf Euro biste dabei.«
»Nun trink doch erst mal.« Frederike lächelte, als ob das etwas nützte.
Walter fand mit seiner Erzählung kein Ende und nicht heraus aus seiner Wut. »Habe ich den ganzen Mist meiner Frau in die Hand gedrückt und bin zum Sicherheitschef ins Büro, um Anzeige zu erstatten. Du glaubst doch wohl nicht, dass ihn das interessierte. Seine Sekretärin hat meine Aussage notiert. Auf einem Formblatt! Kein Wort des Bedauerns oder Mitleids. Alles Routine. Bis zu zwanzig Anzeigen nehmen die am Tag auf. Ich frage mich, wo das hinführen soll! Zwanzig Diebstähle! Am Tag! In einem Kaufhaus!«
»Mord ist weniger häufig«, stellte Kain sachlich fest.
»Dein Wort in Gottes Ohr. Wir haben trotzdem zu tun.« Walter leerte sein Glas mit einem Zug und setzte sich endlich auf einen Barhocker. »Scheißtag!«
Frederike hob das Glas, und Walter nickte. Die Wirtin zapfte. »Wülste was essen?«
»Kann nichts bezahlen.«
»Ich schreibe es an.« Frederike schob Walter sein Pils in die Hand, legte den Bierdeckel auf die Theke und machte einen Strich drauf. Walter stellte nach einem kräftigen Schluck sein Glas neben die Pappe.
»Auch bei mir haste Kredit.« Kain befürchtete, wenn Walter so weiter trank, musste er ihm in einer Stunde das Taxi bezahlen.
»Solche Scheiße erlebste selten! Auch auf Arbeit nur Idioten!«
Kain Verbot sich die Nachfrage. Nein, er wollte nicht wissen, wie die neue Chefin, Agnes R. Schabowski, ermittelte. Er hatte das Modepüppchen aus dem Westen gesehen. Die hoffte, bei der Kriminalpolizei Leipzig Karriere zu machen. Die Mord zwo hatte sie bereits gehörig aufgemischt. Die Kollegen dort waren froh, dass sie ihr Kollektiv verließ. Jetzt war Agnes R. Schabowski befördert, und diese Frau Hauptkommissar leitete fortan ihre eigene Mordkommission. Kain wollte nicht wissen, auf welchem Wege sie den Posten erhalten hatte. Sie saß jedenfalls nun auf Bruno Ehrlichers Stuhl. Das konnte nur in der Katastrophe enden. Agnes R. Schabowski – wer schrieb denn so was an seine Tür? Agnes R. – Null Erfahrung hatten ihr die Kollegen attestiert, überhaupt kein Vergleich zu Bruno. Dessen vierzig Jahre im Dienst musste einer erst einmal schaffen. Über die neuesten Gewalttaten hatte sich Kain in der Zeitung informiert. Ein zerteilter Körper in Seehausen. Ein Toter im Geäst der Bäume am Zubringer zur Autobahn. Fahrerflucht nach Verkehrsunfall mit Todesfolge vorm Bayrischen Bahnhof. Leipzig wurde seinem Ruf gerecht. Schon vor Jahren hatte die Presse getitelt Leipzig – Stadt der Gewalt. Die Kriminalfilme hatte niemand damit gemeint. Weder Tatort noch SOKO. Erst recht nicht die Zeitung. Kain bedauerte keineswegs, nicht mehr zur Kriminalpolizei zu gehören. Unter Agnes R.s Führung hätte er es niemals ausgehalten. Es war gut so, wie’s war. Und Punkt.
Walter trank sein zweites Glas aus und bestellte ein neues. Frederike hatte es bereits gezapft.
»Was gibt’s denn heute im Haus Delikates?«
Frederike verzog das Gesicht, Walter war ihr Menü seit Jahren bekannt. Mindestens zweimal die Woche hatten die Kriminalisten bei ihr den Abend ausklingen lassen. Nicht nur einmal hatten ihre Gesänge frühmorgens durch die Fenster der umliegenden Häuser gehallt.
»Kleiner oder großer Hunger?« Kain fragte bewusst unter den Augen der Chefin, die allerdings zählte das Geld in der Kasse. Walter schaute irritiert. »Für den großen empfehle ich eine Terrine sächsischer Kartoffelsuppe mit Schnippelwurst. Nach hauseigenem Rezept. Wie bei Muttern. Lecker. Oder probieren Sie unseren Waschsalon-Schmaus, ein Schweinerückensteak mit geschmorten Champignons. Schweineschnitzel. Steak au four. Vegetarisch ist unsere Gemüsepfanne. Oder nehmen Sie’s klassisch: Bauernfrühstück.«
Walter trank wortlos sein Bier. Frederike heftete Scheine zu einem Bündel und rief zum Koch: »Penne al Arrabiata«, und zu Walter gewandt, »nimmste doch immer, brauch ich dich nicht zu fragen.« Walter nickte und behielt sein Glas in der Hand. Kain hatte mit seinem angewandten Wissen offensichtlich
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