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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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übrigens befallen oder ein Halbblut) erheitern konnten. Dennoch fügte ich mich. Tillmann schaltete den Song wieder ein.
    Nun kam der Part, den Tillmann zitiert hatte, und Elvis begann zu lachen, während die Band stur weiterspielte und die Backgroundsängerin in den höchsten Tönen und vollem Ernst tirilierte. Auch Elvis versuchte, den Song durchzuziehen, doch er scheiterte bei jedem neuen Versuch. Das alles war sicherlich komisch und ungeplant und für das Publikum sehr amüsant, doch was mich zutiefst berührte und mitriss (etwas, womit ich nicht gerechnet hatte), war die Art und Weise, wie er lachte. Es war ungelogen das schönste Männerlachen, das ich jemals gehört hatte. Man konnte an seinem Lachen – so offen, so spontan, so jung – hören, dass er musikalisch war, aber vor allem konnte ich hören, dass er nicht oft lachte, selten Grund zum Lachen hatte, eigentlich in Melancholie und Traurigkeit gefangen war. Umso mächtiger bahnte es sich jetzt seinen Weg, als habe es die Chance erkannt, das Bollwerk seiner Einsamkeit für einen Moment zu durchbrechen.
    Es war unmöglich, nicht einzustimmen, denn man gönnte es ihm so sehr, diesen kostbaren Moment, in dem der Humor alles überwältigte und ihn mit den fremden Menschen im Saal stärker verband, als es in seinem echten Leben je geschehen konnte.
    Er war mir plötzlich so nah, als stünde er neben uns, obwohl er schon seit Jahrzehnten tot und sein Lachen längst verklungen war. Wir spielten den Song drei Mal ab, bis sich auf unseren Gesichtern ein seliges Dauergrinsen breitgemacht hatte. Das Lachen hatte meine Bauchmuskeln gelockert und all die verkrampften Linien um meine Augen entspannt. Ich war so weit. Es konnte losgehen.
    »Es lebe der King. Prost, Ellie. Auf einen guten Flug!« Tillmann nahm sein Glas und stieß mit mir an. Dann, wie auf eine längst getroffene Abmachung hin, kreuzten wir unsere Arme und tranken auf Bruderschaft. Mit Kussbesiegelung auf die Mundwinkel.
    Das Gesöff schmeckte scheußlich, doch anstatt mich davor zu ekeln, brachte es mich zum Schmunzeln. Tillmann hatte versucht, den penetranten Geschmack mit Orangensaft und jeder Menge Crushed Ice abzumildern, doch er haftete streng und erdig auf unserer Zunge. Einen Moment lang fühlten wir uns wie Kinder, die als Mutprobe Insekten aßen, und leerten die Gläser kichernd und blödelnd, um anschließend mit vollen Mündern das Crushed Ice zu zerkauen.
    »Und jetzt?«, fragte ich. Mein Bauch fühlte sich kalt an, meine Wangen und Hände erhitzt.
    »Jetzt warten wir. Kann bisschen dauern, bis die Wirkung einsetzt. Mach’s dir gemütlich.«
    Auf einmal musste ich an die finsteren Tage nach Colins Erinnerungsraub denken, in denen ich mich von Paul mit harten Beruhigungstabletten und Schmerzmitteln hatte vollpumpen lassen, um alles zu vergessen und zu verdrängen. Damals hatte ich sehnlichst auf die Wirkung der Medikamente gewartet. Eigentlich war diese Situation also nicht neu, nur gab es jetzt nichts, was ich verdrängen musste, nicht einmal die Angst, Tessa auf uns aufmerksam zu machen. Dieses Mal hatten wir sie gezielt herausgefordert und ihre Ankunft geplant. Wir waren ihr mehrere Schritte voraus. Nicht nur das: Ich war inzwischen so kühn geworden, dass ich mit Quallen planschte, neben einem Skorpion schlief und die Berührungen einer giftigen Schlange genossen hatte. Von wegen kein Selbstbewusstsein. Mein Körper war mir oft hinderlich und kam mir fehlerhaft und schwach vor, aber bei diesem Kampf ging es um meinen Geist und der war stark.
    Ich lehnte mich wie Tillmann mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen. Eine ganze Weile lang fühlte ich gar nichts und dachte schon enttäuscht, die Pilze seien eine Fehlzüchtung und erzielten keine Wirkung, bis sich vor meinen geschlossenen Lidern absolut exakt geformte grüne und blaue Ringe bildeten, die sich ineinander verschlangen, gemeinsam Muster erzeugten, sich wieder trennten, um erneut einander entgegenzutanzen – ein Festival der geometrischen Ästhetik und nur für mich, in meinem eigenen kleinen Kopfkino. Ich hätte Tillmann gerne davon erzählt, doch ich hatte keine Lust zu sprechen. Meine Zunge hatte nie perfekter an meinem warmen, weichen Gaumen geruht. Sie zu bewegen, wäre Verschwendung gewesen.
    »Lass mich mal in deine Augen sehen, Ellie.« Oh, seine Stimme … sie knisterte und prasselte wie Feuer. Ich hörte sie nicht nur, ich spürte sie auch, jede Silbe, jedes Wort. Die Laute schossen in Funken durch die

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