Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Grundsätzlich wäre zu sagen, daß der Reisende auch dort, wo Grenzkontrollen wegfallen und er etwa mittels eines Flugzeugs seine »Wanderung« als ein langgezogenes Beamen erlebt, niemals vergessen sollte, eine Trennlinie passiert zu haben. Es muß ihm klar sein, daß, wenn er dieses Flugzeug oder diesen Zug verläßt oder aus seinem Wagen steigt, er sich nicht nur bloß auf einem anderen Staatsgebiet befindet, sondern in einer anderen Welt, einer anderen Sphäre. — Eine Grenze ist der stark geschrumpfte Raum zwischen zwei Sonnensystemen.
Vor allem sollte der Reisende sich nicht von den Ähnlichkeiten zur eigenen Kultur täuschen lassen. Die Unterschiede sind immer größer als die Gemeinsamkeiten. Die Teekannen in gewissen wundersamen Geschichten sehen auf den ersten Blick genauso aus wie jene, welche die Helden von zu Hause kennen, aber diese hier können sprechen und sich bewegen. Und es gibt ja wohl kaum einen größeren Unterschied, als den zwischen sprechenden und nichtsprechenden Teekannen.
Des öfteren kommt das Überschreiten der Grenze dem Durchdringen eines Spiegels gleich, so wie man das aus Jean Cocteaus Orphée kennt, wenn Jean Marais durch eine wasserartige Scheibe die Unterwelt betritt. Das Land auf der anderen Seite der Grenze ist immer das Jenseits. Und daß im Reich der Toten andere Regeln gelten als im Reich der Lebenden, das sollte Ihnen wohl klar sein. Vergessen Sie das also nicht, wenn Sie nach Österreich kommen. Lassen Sie sich niemals von Ihrer grundsätzlichen Vorsicht abbringen, nur weil so manches Ding, so mancher Mensch und Gegenstand stark mit dem verwandt scheint, was Sie aus Ihrem eigenen Land kennen. Lassen Sie sich nicht irreführen, etwa von einer Kaffee- oder Teekanne, die harmlos und ohne ein Wort zu reden vor ihnen steht. Daß sie stumm scheint, bedeutet nicht, daß sie nicht reden kann, wenn sie will. Und daß Geschirr, welches derartige Fähigkeiten besitzt – also im richtigen Moment den Mund zu halten (welcher Mensch schafft das schon?) —, daß solches Geschirr noch zu ganz anderen Hexereien in der Lage ist, versteht sich.
Der famoseste unter allen österreichischen Nestbeschmutzern, Thomas Bernhard, läßt in seinem als Komödie titulierten Prosawerk Alte Meister seine Hauptfigur Reger einen bemerkenswerten Satz aussprechen: »Der Österreicher ist tatsächlich der interessanteste Mensch von allen europäischen Menschen, denn er hat von allen anderen europäischen Menschen alles und seine Charakterschwäche dazu.« Und gleich darauf heißt es: ». . . die ganze Welt hat sozusagen immer einen Narren gefressen an ihm, eben weil er der interessanteste europäische Mensch ist, gleichzeitig ist er aber doch immer auch der gefährlichste. Der Österreicher ist mit großer Wahrscheinlichkeit der gefährlichste Mensch überhaupt. . .«
Dies ist natürlich in erster Linie in einem politischen und historischen Kontext zu verstehen, sollte aber auch prinzipiell und en detail so gesehen werden. Im Umgang mit Österreichern empfiehlt es sich, ob deren »Schönheit« nicht deren »Giftigkeit« zu übersehen. Diese Warnung gilt vor allem für den deutschen Reisenden, der sich nicht selten eine Artverwandtschaft einredet, mitunter sogar eine Blutsverwandtschaft, und sich darum eine Nähe und Vertraulichkeit erlaubt, die unvernünftig ist. Man würde ja auch nicht mit einer hochgiftigen Staatsqualle in Berührung treten, nur weil man selbst zufälligerweise ebenfalls zum Stamm der Hohltiere zählt. Nein, Vorsicht ist eine gute Basis, um in Kontakt zu einem Österreicher zu treten, der zwar ständig zum Fraternisieren einlädt, es aber nicht wirklich schätzt, wenn man diesen Einladungen auch folgt. Ausschlagen sollte man die Einladungen natürlich ebensowenig, sondern dem Österreicher signalisieren, daß man an ihm interessiert ist, ganz in der Art, wie man zu einer Frau oder einem Mann sagt: »Sie gefallen mir, aber ich bin schon verheiratet.« Flirten darf man ja trotzdem. (Der Unterschied zwischen Flirten und Fraternisieren ist der, daß bei ersterem die Grenze erhalten bleibt, bei zweiterem nicht).
Da der Österreicher sehr stark im Bewußtsein jener von Thomas Bernhard definierten Besonderheit lebt, eben der Interessanteste und der Gefährlichste von allen zu sein, schätzt er es natürlich gar nicht, auf seine Kleinstaatlichkeit heruntergestuft zu werden. Auf seine geographische Schrumpfform. Vielmehr sieht er sich als »Kulturmensch«, ja als der
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