Dornenliebe
Euro, für heute Abend reicht es auf jeden Fall. Die Wohnung kostet 270 Euro warm für 26 Quadratmeter. Die Eltern werden ihr monatlich das Kindergeld überweisen, dann ist da noch das Sparbuch, bald wird sie sich einen Nebenjob suchen müssen, um über die Runden zu kommen. In ein Studentenwohnheim hat Luna nicht gewollt, wollte allein sein, in ihrem eigenen Tempo Leute kennenlernen und nicht durch eine Gemeinschaft, die sie sich nicht selber ausgesucht hat. Wenn du mal wirklich knapp dran bist, lass es uns wissen, hat der Vater gesagt; dann gibt es ein bisschen was extra. Luna weiß, Thores Beerdigung war teuer, die Überführung der Leiche aus Portugal, der Sarg, die Blumen. Vor allem war
sie nicht geplant. Zu dem Schmerz, dem Verlust, der sie alle fast um den Verstand gebracht hatte, auch noch die Kosten. Darum geht es nicht, das schafft man schon irgendwie, hat die Mutter immer wieder betont. Trotzdem hat Luna sich gleich vorgenommen, dass sie nie freiwillig zugeben wird, mehr Geld zu benötigen.
Morgen kann sie ihre neue Umgebung erkunden, herausfinden, wo ein Geldautomat ist, ein Bäcker und ein Supermarkt, die nächste U-Bahn oder ein Bus, ein Buchladen. Ein Buchladen ist das Wichtigste. Was andere Mädchen für Klamotten und Schminkzeug ausgeben, investiert Luna in Bücher. Sachbücher zu Themen, die sie interessieren, historische Romane, Biografien. Thore hatte das immer gut gefunden. Nicht so oberflächlich wie die meisten bist du, hatte er gesagt.
Das kochende Wasser blubbert, Luna gießt den Tee auf und legt ihre Hände um den Becher, trägt ihn zurück ins Zimmer und setzt sich aufs Bett, auf die kahle Matratze, auch die Bettwäsche muss irgendwo verpackt sein. Sie trinkt ihren Pfefferminztee schluckweise, er wärmt von innen, danach fühlt sie sich etwas besser. Luna stellt die leere Tasse mit dem Beutel darin aufs Fensterbrett, zieht jetzt doch ihre Jacke aus und rollt sie zusammen, in welcher Kiste die Handtücher sind, weiß sie nicht, es soll nicht so ziehen. Der Heizkörper ist kaum wärmer, blöd, dass sie ihn nicht mehr entlüftet haben. Du bist schuld, Thore, denkt sie und stellt sich vor, dass er jetzt lachen würde, sie lacht nicht, aber es tut gut, an ihren Bruder zu denken und mit ihm Zwiesprache zu halten, als wäre er noch da.
Bewegung hilft, die Wärme, die der Tee gibt, etwas länger im Körper zu halten. Luna öffnet eine Kiste nach der anderen, zieht den Reißverschluss der Reisetasche auf, ihre ausgetretenen Sneakers hat sie noch an, hier sagt niemand, dass der Fußboden sauber bleiben muss. Nach
kurzer Zeit hat sie fast die Hälfte ausgepackt, so reich sind ihre Besitztümer nicht, alles liegt und steht in der Wohnung verteilt, sie muss erst das Meiste einräumen, bevor sie weiter auspacken kann. Nachdem sie das Zeitungspapier vom Fußboden aufgesammelt hat, wirkt alles schon ordentlicher; Gläser hatte sie darin eingewickelt, ein paar Porzellanfiguren, die sie nicht einmal mochte, aber auch nicht wegwerfen wollte, übertrieben nach dem Kindchenschema dargestellte Hunde und Katzen. Ihre Mutter hat ihr zwei Blumenvasen mitgegeben, so was braucht man in einem Haushalt, meinte sie, aber Luna glaubt nicht, dass jemand in diese Wohnung kommen wird und ihr Blumen mitbringt.
Im Duschbad findet sie einen Lappen, der noch vom Vormieter stammen muss, feuchtet ihn an und wischt über die Regalbretter. Die Bücher, CDs und Kerzenhalter, die sie als Erstes einräumt, wirken noch fremd in diesem Zimmer, das ihr noch nicht vertraut ist, fast wie neue Sachen, genau wie das Licht, das in einem grellen Weiß von der Decke strahlt. Die Mickymauslampe aus ihrem alten Kinderzimmer, die dort noch kultig war, wollte sie nicht mitnehmen, nicht ins Berliner Unileben. Jetzt baumelt nur eine nackte Energiesparbirne an der Decke, ihr Vater hatte zu Hause im Keller nach einem Lampenschirm suchen wollen, aber Luna hatte abgelehnt. Die Flohmärkte in Berlin. Eigenständig sein.
Zwei Stunden später hat sie Laken und Bettbezug aufs Hochbett geworfen, ein paar Teller und Gläser gefunden und die wichtigsten Habseligkeiten im Bad eingeräumt. Luna merkt, dass sie müde wird, sie spürt jeden Knochen einzeln, aber noch kann sie sich nicht vorstellen, hier zu schlafen, zum ersten Mal in ihrem Leben ganz allein, ohne
die vertrauten Geräusche des Elternhauses, das dumpfe Geschirrklappern, wenn ihre Mutter spätabends noch abwäscht, das unverständliche Gemurmel des Fernsehers aus dem Wohnzimmer. In einer Kiste
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