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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Der Mann im dunklen Anzug war zusammen mit der Frau mit der Zimmernummer auf dem Weg zur Tür. Seine Hand ruhte in ihrem Kreuz, ziemlich weit unten. Der Typ mit dem hellen Mantel war endlich mit dem Drehen fertig. Jetzt hatte er sich eine Zigarette angesteckt und war dabei, seine Hände in den Taschen zu versenken und hinauszustolpern. Der Barkeeper kam hinter dem Tresen hervor, um die Tische abzuräumen. Es waren noch ein paar Stunden bis zum abendlichen Trubel.
    Sie leerte ihr Glas und stellte es mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung ab. »Wollen wir reingehen und essen?«
    Ich folgte ihr ins Grillrestaurant und konnte andeutungsweise die Umrisse des engen Seidenkorsetts erkennen, das sie um die Taille tragen musste. Wenn jemand so weit kam, dass er es ihr aufschnüren durfte, würde sie herausquellen wie eine Daunendecke. Sie würde rund und weiß sein, und es wäre sicher wunderbar, in ihr eine Kissenschlacht zu veranstalten. Es würde schön sein, sich in ihr zu verirren. Aber nicht für mich, und nicht heute.
     
    Drinnen im Restaurant hatten sie die Gardinen vorgezogen, sodass dort die gleiche halbdunkle, konturlose Atmosphäre herrschte wie in der Bar. Das hatte man mit Absicht getan: Die Züge wurden weicher, die Menschen schöner. Dies war ein Ort, den man in Begleitung von Menschen aufsuchte, die man gern hatte und die man nicht bei Tageslicht anschauen wollte. Es war der perfekte Ort, um Silberhochzeiten oder fünfzigste Geburtstage zu feiern.
    Ich rückte ihr den Stuhl zurecht, und der Kellner eilte mit zwei Speisekarten unter dem Arm zu uns.
    Sie sagte: »Nehmen Sie, was Sie mögen. Sie sind mein Gast.«
    Ich sah sie mit hoch gezogenen Brauen an.
    »Ich meine es ernst.« Etwas angestrengt fügte sie hinzu: »Gibt es nicht etwas, das man die Henkersmahlzeit nennt?«
    »Doch, aber keiner von uns ist wohl zum …«
    »Nein?«
    Ich wandte den Blick ab. Sie hatte nicht nur ihr Äußeres verändert. Sie war ein völlig anderer Mensch. Man sollte so etwas öfter tun. Oder vielleicht doch lieber nicht, wenn ich es mir recht überlegte.
    Wir einigten uns, jeder zuerst einen Krabbencocktail zu essen. Danach bestellte sie einen Grillteller und ich ein Pfeffersteak. Wir bestellten ein Glas Weißwein zum Krabbencocktail und eine Flasche Rotwein zum Hauptgericht. Das Ganze nahm plötzlich eine ganz andere Richtung, als ich geplant hatte. Es lief auf eine Art volles Abendprogramm hinaus, mitten am Nachmittag.
    Der Krabbencocktail kam in hohen, schmalen Gläsern, und wir aßen ihn stumm. Es waren tatsächlich Krabben darin.
    Wir prosteten uns zu, und sie sagte: »Heißen Sie wirklich …«
    »Ja«, sagte ich routiniert. »Ich heiße wirklich so.«
    »Meine Mutter wollte, dass ich Bodil heißen sollte, aber dann wurde ich doch …« Sie sog ihre Wangen ein und sagte: »Vielleicht wäre unser Leben anders, wenn wir einen anderen Namen hätten.«
    »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht auch nicht. Vielleicht wäre unser Leben anders geworden, wenn wir irgendwann nach rechts statt nach links gegangen wären; vielleicht wäre das Leben anders geworden, wenn es damals, als man im Park spazieren ging und den Mann traf, mit dem man das Leben teilen würde, geregnet hätte, statt dass die Sonne schien. Wenn Sie gerne die große Perspektive wollen: Das Leben wäre anders geworden, wenn es an dem Tag, als Ihr Vater im Park spazieren ging und Ihre Mutter traf, geregnet hätte, statt dass die Sonne schien. Oder Ihr Großvater Ihre Großmutter. Man muss es einfach zugeben: auf die ›Vielleichts‹ darf man keine Rücksicht nehmen. Es gibt nur das Leben, und wenn man einen Teil davon gelebt hat, hat man nur die ›Vielleichts‹, um sich zu trösten. Und das ist es – vielleicht – gerade, was so verdammt traurig ist.«
    »Sind wir jetzt nicht furchtbar tiefsinnig, Varg?«
    »Doch.«
    »Ja, ich darf dich doch Varg nennen?«
    »Natürlich.«
    »Und du kannst mich …«
    »Bodil nennen?«
    Sie lächelte plötzlich. »Ja.« Sie sollte nicht lächeln, denn dann erkannte ich sie wieder. Es war ein bitteres kleines Lächeln, und das passte nicht zu ihrer neuen Persönlichkeit. Ich würde mir Witze verkneifen.
    Sie sagte: »Meine Mutter … sie war in vieler Hinsicht ein romantischer Mensch, glaube ich. Sie las sehr viel. Und dann saß sie mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und hörte Ballettmusik, im Radio – später vom Plattenspieler. Sie war – ich habe sie als – schön in Erinnerung. Mein Vater – war eher

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