Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
bodenständig. Er arbeitete in einem Büro und trug immer den gleichen Anzug, solange ich mich erinnern kann – mit braunen Lederflicken auf den Ellenbogen. Brille. Dünnes Haar. Ein warmes Lächeln. Keiner von beiden hätte es verkraftet, wenn ich mich jemals hätte scheiden lassen. Damals, als sie noch lebten. Es hätte ihnen das Herz gebrochen. Sie haben nicht an eine Liebe außerhalb – der Ehe geglaubt. – Aber«, fügte sie dann hinzu, »was weiß man eigentlich über seine Eltern?«
»Tja …«, sagte ich.
»Sie waren so stolz, dass ich … auf den Status, den ich durch – den Mann gewann, den ich geheiratet habe.«
Das Hauptgericht kam. Sie bekam einen langen, spitzen Grillspieß mit einer breiten Auswahl an Fleischstücken, Nieren, Herz, Leberstückchen und kleinen Würstchen, dazu einen grünen Salat und eine große gebackene Kartoffel. Mein Pfeffersteak kam mit gelben Bratkartoffeln, demselben grünen Salat und einer fast cremeweißen Sauce mit großen Paprikastücken. Ich schenkte Rotwein in die Gläser, und sie sagte: »Aber als ich geheiratet habe, hatte ich keine Ahnung, wen ich da heiratete.«
»Nein?«
»Die ersten Jahre waren wir glücklich, fast unglaublich glücklich, wenn ich jetzt zurückschaue.«
»Das ist immer so«, sagte ich mit vollem Mund.
»Wie?«, fragte sie zerstreut. »Ja, vielleicht.« Sie zog eine runde, braun gebratene Niere von ihrem Spieß und steckte sie in den Mund. »Aber dann – gefror alles. Wir bekamen die beiden ersten Kinder, und mein Mann … seine ersten Freundinnen.«
Ich nickte.
»Als ich es das erste Mal entdeckte – begriff –, dass er untreu gewesen war, dass er mit einer anderen zusammen gewesen war … Es war, als würde eine Welt zusammenbrechen, als würde mir der Himmel auf den Kopf fallen. Aber – du kennst ja das alte Märchen von dem Küken, das glaubte, ihm fiele der Himmel auf den Kopf, und dann war es nur eine Nuss?« Sie sah mich fragend an.
»Ja, aber was …«
»So war es auch bei mir. Es war nur eine Nuss. Nichts. Ich sagte ihm, wenn sie ihm so viel bedeutete – die Frau mit der –, dann sollte er doch zu ihr gehen, mich verlassen, und wir würden uns scheiden lassen. Er – er sah mich nur müde an und sagte: ›Sie bedeutet gar nichts. Nicht das geringste.‹ Weißt du, Varg, gerade das war so schwer zu verstehen. Ich meine, ich hätte es verstehen können, wenn er sie geliebt hätte, aber das – dass sie gar nichts bedeutete –, das konnte ich nicht verstehen.« Sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Tja, vielleicht war ich einfach eine langweilige Geliebte. Vielleicht war es das.« Sie schnitt ein Stück Fleisch durch und löste es vom Spieß. Mir war noch nie aufgefallen, wie spitz ein solcher Spieß doch sein konnte.
»Später«, fuhr sie fort, »war es mir dann mit der Zeit total egal. Ich wusste, das er ständig neue Freundinnen hatte, und ich begriff, dass er auch für sie nicht das Geringste empfand. Eigentlich hat er, glaube ich, immer nur sich selbst geliebt – außer vielleicht …«
»Ich glaube, du hast Recht«, sagte ich. »Solche Männer lieben eigentlich nur sich selbst. Sie schlafen mit hunderten von Frauen, aber was sie suchen, ist nur ein Spiegel. Und es ist die Hölle für sie, wenn sie alt werden, das garantiere ich dir.«
»Meinst du?«, sagte sie, fast hoffnungsvoll. Dann verdunkelte ihr Gesicht sich wieder.
»Aber das Schlimmste war … das Schlimmste war, dass er auch mich kaputtgemacht hat! Ich – ich gefror zu Eis in diesen langen, kalten Jahren, Varg. Ich verlor die Fähigkeit zu lieben, ich war niemals froh. Ich konnte nicht einmal meine Kinder lieben, ich war nicht einmal am – am Weihnachtsabend froh. Ich bewegte mich in meiner eigenen, kleinen Welt, erfüllte meine Pflichten als Mutter, als Hausfrau, als Wirtin, wenn es nötig war. Aber das, was einmal in mir war – Bodil, wenn du so willst –, das starb. Das gammelte dahin, verwelkte. Bodil – Bodil ist für immer gestorben«, flüsterte sie.
Ich trank. Der Wein schmeckte rostig, wie Eisen in einem stehenden Gewässer. Die Sahnesauce fühlte sich an wie zerbröselnder Samtstoff am Gaumen. Das Fleisch war plötzlich schwer zu kauen.
»Weißt du, in all den Jahren war ich – treu.« Sie schluckte. »Ich hatte nicht – ich war ihm nicht untreu – kein einziges Mal – bis …« Tränen traten in ihre Augen.
Wir aßen eine Weile stumm. Dann sagte ich leise: »Es gab ja die Möglichkeit einer – Scheidung, oder?«
Sie sah abrupt
Weitere Kostenlose Bücher