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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Kapitel 1

    TORAK ERWACHTE MIT einem Ruck und stellte erschrocken fest, dass er doch eingeschlafen war.
    Das Feuer war heruntergebrannt. Er duckte sich in den trügerischen Schutz des Lichtscheins und spähte ins unheimliche Dunkel des Großen Waldes. Er konnte nichts sehen. Er konnte nichts hören. War er zurückgekommen? War er dort draußen und belauerte ihn mit mordlustig funkelnden Augen?
    Torak hatte Hunger und fror. Er wusste, dass er dringend etwas essen musste, dass ihm der Arm wehtat und seine Augen vor Müdigkeit brannten, aber er konnte es nicht richtig spüren . Die ganze Nacht hatte er die zerstörte Hütte aus Fichtenzweigen bewacht und zugesehen, wie sein Vater verblutete. Wie konnte so etwas geschehen?
    Erst gestern – gestern  – hatten sie hier in der herbstlich blauen Abenddämmerung ihr Lager aufgeschlagen. Torak hatte einen Scherz gemacht und sein Vater hatte gelacht. Dann war urplötzlich der Wald über sie hereingebrochen. Raben krächzten. Kiefern knackten. Und aus dem Dunkel unter den Bäumen sprang etwas noch Dunkleres – ein riesiges Scheusal in Bärengestalt.
    Plötzlich war der Tod über ihnen. Wirbelnde Klauen. Ohrenbetäubendes Gebrüll. Im Nu hatte das rasende Tier die Hütte zertrümmert. Im Nu hatte es Toraks Vater eine klaffende Wunde in die Seite gerissen. Dann war es lautlos wie Nebel im Wald verschwunden.
    Aber was war das für ein Bär, der einen Menschen anfiel und wieder verschwand, ohne sein Opfer zu töten? Was für ein Bär spielte nur mit seiner Beute?
    Und wo war er jetzt?
    Torak konnte nicht über den Lichtkreis des Feuers hinaussehen, aber er wusste, dass die gesamte Lichtung verwüstet war, voller geknickter Schösslinge und zertrampeltem Farn. Es roch nach Kiefernblut und zerwühlter Erde. Dreißig Schritt entfernt hörte er den Bach kummervoll strudeln und murmeln. Der Bär konnte überall sein.
    Sein Vater stöhnte. Er öffnete mühsam die Augen und sah seinen Sohn an, ohne ihn zu erkennen.
    Torak stockte das Herz. »Ich … ich bin es«, stotterte er. »Wie geht es dir?«
    Das hagere braun gebrannte Gesicht seines Vaters verkrampfte sich vor Schmerzen. Seine Wangen waren aschgrau und die Clantätowierung hob sich bläulich davon ab. Sein langes dunkles Haar war schweißverklebt.
    Die Wunde war so tief, dass Torak das Gedärm des Vaters im Flammenschein schimmern sah, als er ungeschickt versuchte, die Blutung mit Bartflechten zu stillen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um sich nicht zu übergeben. Hoffentlich merkte Fa nichts – aber Fa war Jäger. Ihm entging nichts.
    »Torak…«, flüsterte er, streckte die heißen Finger aus und umklammerte Toraks Hand so fest wie ein kleines Kind. Torak schluckte. So klammerte sich ein Sohn an die Hand des Vaters, nicht umgekehrt.
    Torak riss sich zusammen, wollte ein Mann sein, kein Kind. »Ich hab noch ein paar Schafgarbenblätter«, sagte er und tastete mit der freien Hand nach seinem Medizinbeutel. »Vielleicht hilft das gegen …«
    »Behalt sie. Du blutest auch.«
    »Es tut nicht weh«, log Torak. Der Bär hatte ihn gegen eine Birke geschleudert und dabei hatte er sich die Rippen geprellt und den linken Unterarm aufgeschürft.
    »Geh, Torak. Jetzt. Bevor er wiederkommt.«
    Torak starrte seinen Vater an. Er öffnete den Mund, aber es kam kein Laut heraus.
    »Du musst gehen«, sagte sein Vater.
    »Nein. Nein. Ich kann nicht…«
    »Ich sterbe, Torak. Bis die Sonne aufgeht, bin ich tot.«
    Torak griff nach dem Medizinbeutel. In seinen Ohren rauschte es. »Fa …«
    »Bereite mich … auf die Todesreise vor. Dann pack deine Sachen.«
    Die Todesreise. Nein. Nein.
    Doch die Miene des Vaters war unerbittlich. »Meinen Bogen«, fuhr er fort. »Drei Pfeile. Du … behältst die übrigen. Dort, wo ich hingehe … macht das Jagen keine Mühe.«
    Toraks Beinleder war am Knie zerrissen. Er bohrte den Daumennagel in die Haut. Es tat weh. Er konzentrierte sich mit aller Macht auf den Schmerz.
    »Essen«, keuchte sein Vater. »Das Räucherfleisch. Nimm dir … alles.«
    Toraks Knie blutete jetzt. Er grub den Fingernagel noch fester hinein. Er wollte sich nicht vorstellen, wie sein Vater auf die Todesreise ging. Er wollte sich nicht vorstellen, wie er allein im Wald zurückblieb. Er zählte erst zwölf Sommer. Allein konnte er nicht überleben. Er wusste nicht, wie.
    »Torak! Mach schon!«
    Heftig blinzelnd nahm Torak seines Vaters Waffen und legte sie neben den Verwundeten. Er zählte die Pfeile ab und stach sich

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