Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
Glasrändern, aber wir hätten allein im Raum sein können, wir waren allein.
»Irgendwann … hörte er auf zu weinen«, sagte sie matt. »Er stand auf, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände, sagte, dass er mich noch nie gesehen hätte. Er – küsste mich. Er – blieb. Und später kam er wieder, und wieder, und … Ich gab ihm Geld, ich war – ich war anders, neu, jung. Plötzlich war das Leben – herrlich, wunderbar, phantastisch. Ich erwachte wieder zum Leben, Varg, verstehst du? Ich war verliebt!« Noch immer leuchtete etwas von dieser Verliebtheit aus ihren Augen, aber es war doch nur ein matter Widerschein.
»Und dann …«, fragte ich.
Sie sah mich verständnislos an.
»Lisa«, sagte ich und hörte, wie ihr Name aus meinem Mund wie eine Drohung klang.
»Ja, Lisa«, sagte sie blass. »Sie kam nach Hause … Ja, Peter kam so – fast zwei Jahre lang, die glücklichsten zwei Jahre meines Lebens. Ich – trotz des Altersunterschieds, obwohl so viele Jahre zwischen uns lagen – dass er mein eigener Sohn hätte sein können … Ich habe ihn geliebt, ich habe ihn mehr geliebt, als ich jemals jemanden – geliebt hatte.«
»Und er?«
»Er? Er sagte es jedenfalls, eine Weile …«
Ihr Blick fiel auf den Tisch, auf den leeren Teller. Mit einem nachdenklichen Augenausdruck griff sie nach dem Spieß, nahm ihn hoch und hielt ihn in den Händen.
Sie sagte: »An dem Tag, als Lisa nach Hause kam – wir waren auf dem Sofa, Peter und ich, aber es war nicht – ich meine, wir – lagen nicht, wir saßen nur da, und er hatte den Arm um ich gelegt und – na ja, küsste … Sie – ich hatte sie nicht erwartet, noch nicht, sie kam sonst nie – ich war immer allein, es war die sicherste Zeit, aber dann … plötzlich war sie da – und sie schrie. Sie griff eine der schönsten Vasen und schmiss sie an die Wand über unseren Köpfen, sodass die Scherben auf uns herunterregneten, und sie schrie die schlimmsten Worte – dass sie uns umbringen würde, und dann … dann lief sie weg. Und Peter lief hinterher. Danach – danach haben wir nichts mehr von ihr gehört – bis – bis du mit ihr zurückgekommen bist. Und ich habe davon nichts …«
Ich nickte. Wir hatten nur noch das letzte Stück vor uns. Aber das war vielleicht das Schwierigste. Ich sagte: »Und das war eigentlich nur der Anfang – von allem?«
»Nicht ganz. Schon als Lisa weglief … Peter kam zurück und sagte, dass er sie nicht erwischt hätte, aber dass – dass es das Ende – das Ende für uns bedeuten müsste. Ich war wie gelähmt. Ich klammerte mich an ihn, bettelte. Aber er war hart, er sagte, ich sei nur ein – geiles, altes Weib – ich hätte ihm nie etwas bedeutet – ich sei nur eine Einnahmequelle gewesen – wie alle anderen – aber dass er Lisa liebte, dass er sie nicht verletzen wollte, nie mehr. Ich – ich habe mich erniedrigt, bin vor ihm auf die Knie gefallen, lag auf dem Boden und heulte wie ein kleines Kind, als er ging. Als die Tür hinter ihm zuschlug, war es, als würde ich innerlich in zwei Teile geschnitten. Das war die mir zugeteilte Zeit der Liebe, Varg. Die zwei Jahre mit einem Kerl, der mich ein altes Weib nannte, als er ging.« Sie hatte keine Tränen mehr in den Augen. Aber es funkelte in ihnen, und ich konnte die Umrisse ihres Hasses erkennen.
Sie stach die Spitze des Grillspießes auf die Fläche ihres Daumens, fast wie zur Probe. Dann fuhr sie fort: »An dem Tag, als Lisa nach Hause kam, rief ich ihn im Hotel an. Ich war schon manchmal dort gewesen, als es schwierig war – zu Hause. Ich rief an und erzählte, dass Lisa nach Hause gekommen sei, ob ich ihn besuchen könnte. Er war kalt und abweisend, aber er willigte schließlich ein. Ich – ich setzte diese Perücke auf, zog mich – schick an, fuhr hin, ging auf sein Zimmer …« Sie unterbrach sich selbst: »Wusstest du, dass Peter Niels’ Sohn war?«
Ich sah sie müde an, nickte leicht und sagte: »Aber wusstest du es?«
Sie sagte schnell: »Ich habe Augen im Kopf, und jeder Mensch musste es sehen. Ich wusste ja, dass Niels und Vera einmal – aber ich habe mich auch damit ausgesöhnt, wie mit allem anderen. Ich meine, es bedeutete – es machte mir nichts aus, mit Vera umzugehen; ich gehe davon aus, dass er auch ihr wehgetan hatte, damals – aber alle mussten ja sehen, dass Peter … Je älter er wurde, desto mehr glich er Niels. Ingelin war Håkons Tochter, das war ganz deutlich, aber Peter …« Sie schüttelte den Kopf. Ich sah sie plötzlich vor
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