Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
überschüttet. Aber gerade diese Berührung – den kleinen kameradschaftlichen Klaps – bekam sie vermutlich selten.
    Dann drehte ich mich um und ging. Bevor ich die Tür erreicht hatte, sagte sie: »Nimm dich vor den Billing-Brüdern in Acht!«
    Ich hielt inne: »Vor wem?«
    »Vor den Billing-Brüdern. Mit denen ist nicht zu spaßen.«
    Ich nickte langsam und bedankte mich für den guten Rat. Ich würde mich teuer verkaufen, denn ich bin ein billiger Typ.
    Als ich die Tür hinter mir schloss, sah ich sie für den Bruchteil einer Sekunde auf der Bettkante sitzen, die Beine gespreizt und mit einem leeren Gesichtsausdruck. Das lila Kleid schien ihr zu groß zu sein, und sie erinnerte mich an ein Mädchen, das zum ersten Mal auf einem Sommerball ist und mit dem niemand tanzen will.

2
    Das Hundehaus lag nicht direkt in der Istedgade, sondern in einer der westlichen Seitenstraßen. Es war nicht einmal ein Hotel, sondern eine vierstöckige Baracke, ein Mietshaus mit fahler Fassade, abgeblättertem Putz, verzogenen Fenstern und einer Eingangstür, die lose in den Scharnieren hing. Die Treppe vor der Tür war schief.
    Ich ging auf der anderen Straßenseite entlang und ließ den Blick die Stockwerke hinauf wandern. Hinter den Fenstern waren dunkelbraune Gardinen vorgezogen. Durch die meisten schimmerte Licht. Als ich vorbeiging, kam ein ziemlich alter Mann aus der Haustür. Er sah aus, als habe er gerade ein mittleres Nirwana gewonnen, und wahrscheinlich würde er im Laufe der nächsten Stunde an einem Herzinfarkt sterben. Er torkelte in Richtung Istedgade davon.
    Ich biss die Zähne zusammen, überquerte die Straße und ging durch dieselbe Tür hinein. Ich kam in einen Windfang und musste noch eine Tür passieren. Als ich den Griff berührte, klingelte irgendwo eine Glocke, und als ich sie hinter mir schloss, wurde durch eine Luke irgendwo links ein Kopf herausgestreckt.
    Es war ein Mann, denn das Gesicht zeigte Bartwuchs. Gelbweiße Stoppeln umrahmten einen Mund, der nass von Bier war, und die Augen blinzelten mich misstrauisch an. Seine Gesichtsfarbe war blassfahl, und umrahmt von der viereckigen Luke sah der Kopf aus wie der eines Tiers, das jemand an die Wand gehängt hatte, wie die Jagdtrophäe aus einem Albtraum. Aber er konnte sprechen und sagte: »Was willst du?«
    »Reden.«
    »Das kannste im Parlament machen. Hier wird nich geredet.«
    »Was tut man hier denn?«
    »Bezahlen und ficken. Auf jeden Fall bezahlen.«
    »Wie viel?«
    »Haste Interesse?«
    »Könnte man so sagen, ja.«
    »Sie sind jung, aber billig, und du kriegst nur ’ne halbe Stunde.«
    »Wie viel?«
    »Dreihundert?«, versuchte er es vorsichtig. Als ich nicht antwortete, fügte er hinzu: »Und hundert für das Zimmer.«
    »Und wenn ich eine bestimmte haben will?«
    »Was Bestimmtes? Was meinste? Französin? Schwedin? Schwarz?«
    »Eine bestimmte. Sie heißt Lisa und kommt aus Norwegen.«
    Er schnappte nach Luft und maß mich rasch von Kopf bis Fuß. »Was bist du für einer? Bulle? Wir machen hier nix Ungesetzliches.«
    »Auch nicht, wenn dieses Mädchen zufällig unter sechzehn ist?«
    Er lächelte schmierig. »Du bist hier nicht in Norwegen, Mann«, sagte er und machte Anstalten, die Luke zu schließen.
    Ich packte ihn schneller als er gucken konnte am Jackenkragen und zog ihn wieder aus der Luke heraus. Weil seine Schulter im Weg war, gelang es mir nicht ganz, aber doch weit genug, dass es wehtat. »Möchtest du, dass ich dir den Hals umdrehe?« Ich zog mit den Fäusten den Kragen unter seinem Kinn enger zusammen.
    Er hustete dünn, rang nach Luft und trat von innen gegen die Tür. Aber seine Kräfte reichten nicht weit. Er hatte zu viele Tage in dem kleinen Raum hinter der Tür zugebracht, wo seine einzige sportliche Betätigung darin bestanden hatte, den Kopf durch die Luke zu stecken.
    »Ich kenne keine – wir haben keine – die Lisa heißt …«, krächzte er.
    Ich behielt mit der rechten Hand seinen Kragen im Griff, holte mit der linken das Foto von Lisa heraus und hielt es ihm gnadenlos vor die Nase. Seine Augäpfel rollten in seinem Kopf herum und die Pupillen suchten etwas hinter den Lidern, aber dann fielen sie wieder herunter. »Und?«, fragte ich. »Ich kann auch zu dir reinkommen. Ich könnte noch ganz andere Dinge mit dir tun. Ich kann ganz schön brutal werden, wenn ich stinkig bin, und ich fühl mich gerade ziemlich stinkig.«
    Er piepste wie eine eingesperrte Ratte und zeigte mir ein gelbes Zähnefletschen. »Ich … kann

Weitere Kostenlose Bücher