Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
ging auf und der kleine Bruder war wieder da. Diesmal schloss er nicht hinter sich ab. Das bedeutete entweder, dass sie mich laufen ließen, oder dass sie mich schnellstens umlegen wollten. Der kleine Bruder konstatierte stumm, dass ich auf dem Boden lag und sagte: »Der Chef sagt, es ist okay, wir sollen ihn laufen lassen.«
    Der große Bruder sah enttäuscht drein. Ich kam auf die Knie und sagte: »Grüß den Chef von mir und sag ihm, er ist ein guter Geschäftsmann.«
    Der kleine Bruder sagte: »Der Chef hat gesagt, wenn du noch mal wiederkommst, dann kommst du nie mehr wieder. Kapiert?«
    »Ich kapiere, dass ihr hier in der Straße die knappen Formulierungen liebt. Hat er was über – sie gesagt?« Ich nickte zu Lisa hin.
    Er warf einen verächtlichen Blick auf das nackte Mädchen auf dem Bett. »Sie kann gehen. Sie war sowieso nicht gerade der Renner.«
    »Aber …«, sagte der große Bruder. »Zuerst werd ich – du hast versprochen, dass ich …«
    Der kleine Bruder sah den großen Bruder an und zuckte mit den Schultern. »Wenn du Lust hast, dann –«
    Lisa sagte: »Nein!« Zum ersten Mal sah sie mich direkt an. »Nein, sag, dass er nicht – mach, dass er nicht –«
    Ich stand ganz auf. »Sie kommt jetzt mit mir. Sonst kannst du unseren Deal vergessen.«
    Beide Brüder sahen mich ungläubig an.
    Ich fuhr fort: »Wenn der Chef gesagt hat, dass wir gehen sollen, dann weil er vernünftig war. Sie ist minderjährig, und das bedeutet das Ende eures Geschäfts, wenn sie und ich nicht binnen fünf Minuten dieses Haus verlassen haben. Sie und ich! Es gibt Leute, die wissen, wo ich bin, Leute, die immerhin so viel von mir halten, dass sie den Bullen schon erzählen werden, wo sie die Reste von mir finden, also überlegt’s euch – oder ruft noch mal an.«
    Sie starrten mich weiterhin an.
    »Zieh dich an«, sagte ich zu Lisa.
    Der große Bruder sagte: »Aber –«
    Der kleine Bruder fasste ihn am Oberarm. »Vergiss sie – ich werd was Besseres für dich finden, jetzt sofort. Was viel besseres! Lass sie ruhig laufen.«
    Lisa zog sich die dünne Unterwäsche und die Jeans an, zog sich den Pullover über den Kopf, steckte ihre Füße in die Stiefel und war angezogen. Sie trat ganz nah an mich heran, als suche sie Schutz. Ich war ein toller Typ – eine halbe Minute lang.
    Dann kam der große Bruder herüber und boxte mich in den Bauch. Es war nur ein kleiner Hieb, aber es reichte, um mich fast ohnmächtig zu schlagen. Ich lehnte mich schwer gegen die Wand, und mir wurde schwarz vor Augen.
    »Verdammt noch mal!«, hörte ich den kleinen Bruder sagen. »Raus mit dir, zum Teufel. Der Chef –«
    Die Tür ging auf und der kleine Bruder blieb allein zurück. Das Zimmer drehte sich um mich.
    Er spuckte vor meinen Füßen auf den Boden. »Verpiss dich!«
    Allerdings, ich war ein richtig toller Typ. Ich war ein so toller Typ, dass ich von einem sechzehnjährigen Mädchen gestützt werden musste, um einigermaßen aufrecht aus dem Haus zu kommen. Ich war ein so toller Typ, dass sie mich den ganzen Weg bis zum Hotel stützen musste. Wir sahen aus wie eine x-beliebige Hure mit einem x-beliebigen Kunden, deshalb nahm niemand Notiz von uns. Das einzige, was ich mich hinterher fragte, war, warum sie die Gelegenheit nicht genutzt hatte, um abzuhauen.

4
    Im Hotel kannten sie mich, deshalb ließen sie mich ohne schräge Blicke Lisa mit aufs Zimmer nehmen.
    Ich setzte Lisa in einen der beiden grünen Ohrensessel. Per Telefon schickte ich ein Telegramm nach Bergen, um mitzuteilen, dass wir am nächsten Morgen den ersten Flug nehmen würden. Es war 20.25 Uhr, und das bedeutete, die letzte Maschine nach Bergen war soeben gestartet. Über das Haustelefon bestellte ich zehn belegte Brote und eine Kanne Kaffee. Lisa und ich würden die Nacht zusammen verbringen, im selben Zimmer, denn ich mache selten den gleichen Fehler zweimal. Bei einer anderen Gelegenheit war ich so ehrbar gewesen, dass ich für das Mädchen, das ich gefunden hatte, ein eigenes Zimmer bestellt hatte, neben meinem, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Vogel ausgeflogen, und ich musste weitere zwei Tage in Kopenhagen verbringen.
    Ich würde mich allerdings gehörig auf Abstand halten und ihr das Bett überlassen.
    Lisa war stumm. Den ganzen Weg vom Hundehaus bis hierher hatte sie ein aufrichtig schmollendes Gesicht gezeigt: ein Gesicht, wie es Menschen ihres Alters sonst meistens ihren Eltern vorbehalten. Ich hatte auch nicht so viel zu sagen, also benahmen

Weitere Kostenlose Bücher