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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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nich. Sie … werden mich umbringen …«
    »Wer sie?«
    »Tu’s nich … sie werden dich auch kriegen … fahr nach Hause, sag, du hast sie nich gefunden.«
    »Soll ich reinkommen?« Ich verstärkte meinen Griff unter seinem Kinn und presste ihn gegen den Rand der Luke, der genau gegen seinen Kehlkopf drückte. Er schnappte nach Luft.
    »Zweiter Stock«, piepste er. »Erste Tür links.« Ich ließ ihn los, und er fiel nach hinten durch die Luke zurück. »Verdammter Idiot!«, fügte er von dort drinnen hinzu.
    Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten und war schon auf dem Weg nach oben.
    Hinter der Tür stöhnte jemand laut, und ich trat sie auf. Sie lag auf dem Bett, und sie war nackt. Auf ihr lag ein Mann mittleren Alters, mit flatterndem Hemd, die Hose in den Kniekehlen. Er machte einen offensichtlich vergeblichen Versuch, in sie hineinzukommen.
    Als die Tür gegen die Wand schlug, schreckten beide zusammen. Er war blaurot im Gesicht, sie graubleich. Er versuchte, etwas zu sagen, sie öffnete nur den Mund. Ich schloss die Tür hart hinter mir.
    Vier Jahre zuvor war ich in ein ähnliches Zimmer gekommen und hatte ein Paar in ungefähr derselben Position vorgefunden. Damals hatte es der Mann nur um Haaresbreite überlebt, aber damals kannte ich das Mädchen auch sehr gut. Diesmal war es nur ein Gesicht von einem Foto, das ich in der Tasche hatte, und der Mann war ein Schatten aus einem grauen Alltag. Deshalb sagte ich nur: »Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen, Lisa.« Ich gab dem Mann ein Zeichen, dass er verschwinden sollte.
    Er krabbelte aus dem Bett. Er war Ende fünfzig, und sein graubraunes Haar lag in langen Strähnen über der fettigen Glatze. Sein Gesicht war faltig wie eine Packung Wienerwürstchen, die Augen blass und der Blick unterwürfig. Er zog sich die Hose hoch und murmelte irgendwas von Geld.
    »Wenden Sie sich an die Kasse«, sagte ich.
    Das Mädchen von dem Foto blieb auf dem Bett liegen. Ihre Brüste waren flach, ihr Geschlecht mager und struppig. »Zieh dich an«, sagte ich. »Du wirst kalt.«
    Sie schloss ihre Schenkel, wie man eine Schere nach Gebrauch schließt, und sah mich trotzig an.
    Der Mann murmelte noch immer irgendwas von Geld. Auf dem Weg zur Tür hielt er inne. Die Tür wurde wieder geöffnet. Es war nicht nur einer, der herein wollte. Sie waren zu zweit und mussten nacheinander eintreten, denn sie waren so breit, dass sie nebeneinander nicht durch die Tür gepasst hätten.
    Beide waren zirka einen Meter neunzig groß. Der Linke musste ungefähr hundert Kilo wiegen, der andere war ein Hänfling von nur neunzig Kilo. Dafür sah er aber durchtrainierter aus. Sie trugen groß karierte Anzüge, als seien sie auf dem Weg zum Karneval, allerdings schienen sie schon an ihrem Ziel zu sein, und ich glaubte kaum, dass dieser Karneval besonders lustig würde. Der Mann mittleren Alters hatte plötzlich zu lächeln begonnen.
    Ich sagte: »Bleibt stehen, bevor ihr eine Dummheit macht.«
    Da begannen auch sie zu lächeln.
    Sie hatten sich nicht vorgestellt, aber ich ging davon aus, dass es sich um die Billing-Brüder handelte, denn sie sahen ziemlich fies aus.

3
    Der größere der beiden bewegte sich weiter in den Raum, genauer gesagt bis zur Wand, und unterwegs nahm er mich mit. Er presste mich mit all seinen Kilos gegen die Wand, und ich fühlte mich platt wie eine Zitronenscheibe.
    Der kleine Bruder blieb ein paar Schritte entfernt stehen und wandte sich auf unmissverständliche Weise an den Mann mittleren Alters: »Raus!« Nachdem dieser eilig verschwunden war, machte er die Tür hinter ihm zu und schloss ab. Der Schlüssel drehte sich mit einem schicksalsschwangeren, rostigen Laut im Schloss – ungefähr so musste es sich in der Hölle anhören, wenn sie das Tor hinter einem schließen.
    Lisa hatte sich die Decke bis unter das Kinn gezogen und sah aus wie ein kleines Mädchen, das keine Märchen mehr hören wollte, aber dazu gezwungen wurde.
    Ich piepste: »Hört mal, Jungs. Ihr macht einen Riesenfehler. Ich bin Privatdetektiv und aus Norwegen gekommen, um dieses Mädel nach Hause zu holen. Sie ist fünfzehn«, log ich, »und wenn ich nicht mit ihr zurückkomme, dann werden die Bullen hier auftauchen, mit allem, was sie an Staubsaugern aufbieten können, und sie werden erst Ruhe geben, wenn keine Hure in der Istedgade mehr übrig ist, und ihr werdet viel Geld verlieren. Verdammt viel Geld … Jungs?«
    Der große Bruder bewegte sich kaum merkbar. Er sah auf mich herunter.

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