Dornröschengift
auf meine Stirn . Schatz? – Wann hat sie mich zum letzten Mal so genannt? Ir gendwann in meiner frühkindlichen Phase vielleicht? Als si e noch dachte, dass meine schwarzen Locken lediglich ein Fehle r der Natur wären? Denn sowohl sie wie auch mein Vater ware n blond. Nur ein Grund, weshalb ich immer dachte, ich sei adop tiert . All das ging mir durch den Kopf, während ich keine Luft meh r bekam, so stark musste ich husten . »Nein, allenfalls ein bisschen erhöhte Temperatur«, erklärte si e an meinen Vater gewandt . Nun drehte sich der Junge im Sessel um und erhob sich . Er trug dieses American-Sunnyboy-Lächeln im Gesicht. Hell e Jeans, darüber eine dunkle Jacke. Darunter ein grau-weiß gerin geltes Sweatshirt mit Kapuze. Und Turnschuhe von Nike . Keine Ähnlichkeit . Nicht im Entferntesten . Wie hatte ich das nur denken können ? »Hallo, ich bin Tom«, sagte er in gebrochenem Deutsch . Er streckte mir die Hand entgegen. »Du musst Sofie sein. « Tom, dachte ich und die Enttäuschung schwappte über mir zu sammen wie eine Welle. Nach allem, was passiert war, hatte ic h ganz vergessen, dass er heute ankam . »Tom stand plötzlich vor der Tür«, hörte ich meinen Vater sa gen. »Dabei hätte ich dich doch vom Bahnhof abgeholt«, wand te er sich an unseren Gast . »Kein Problem, der Flieger ist früher gelandet als geplant un d ich wollte Ihnen keine Mühe machen. « Meine Mutter strahlte ihn an. »Dann können wir ja jetzt essen. « Über Toms Gesicht huschte ein Ausdruck von Unsicherheit . »Just a moment«, sagte er leise und knetete verlegen seine Hän de. »Vielleicht – würden Sie sich bitte noch einmal setzen? Ich muss Ihnen etwas sagen – wegen … Mike.« Das Gesicht meiner Mutter wurde starr. Was jetzt kam, wollte sie nicht hören, so viel war sicher. Aber ich! Und Gott sei Dank sagte auch mein Vater entschieden: »Wir wollen alles wissen, Tom.« War das der Moment der Wahrheit? »Bis jetzt habe ich niemandem davon erzählt, weil ich es Mike versprechen musste. Aber jetzt, wo ich hier bin… Mike…« Tom stockte, suchte nach den richtigen Worten. »An dem Abend, bevor er zum Tauchen aufbrach, da meinte er, er würde vielleicht wegfahren. Er müsse eine Zeit lang verschwinden, um nachzudenken.« Den Schimmer von Zuversicht und Erwartung in den Augen meiner Mutter zu sehen schmerzte. Gleichzeitig fühlte ich das selbe wie sie: Hoffnung! Die Spannung im Raum löste sich durch das schrille Klingeln des Telefons. »Entschuldigt mich«, sagte mein Vater und verließ mit schnellen Schritten das Wohnzimmer. »Er kann einfach nicht Nein sagen.« Mams Stimme klang wie im mer, aber der angespannte Ausdruck in ihrem Gesicht war nicht verschwunden. »Ein Arzt aus Berufung«, bemerkte Tom. Wieder herrschte Schweigen. Weder Mam noch ich wagten Tom zu fragen, was sein Satz bedeutete. Ob er wirklich glaub te, Mike sei einfach weggegangen, ohne uns Bescheid zu sa gen? Nein, dachte ich, er hätte es mir geschrieben. Nie und nimmer hätte er uns in diese Unsicherheit gestürzt. Tatsache allerdings war, dass die Polizei bis heute keine Spur von Mike entdeckt hatte.
Keine Leiche. Aber auch keine Zeugen, die ihn nach seine m Tauchgang gesehen hatten. Keine Abbuchungen auf seiner Kre ditkarte . Als mein Vater wiederkehrte, war er ganz grau im Gesicht . »Es ging um das Mädchen aus dem Dorf, das verschwunden ist. « Unsicher sah er von mir zu meiner Mutter. »Ich hatte noch kei ne Zeit, es euch zu erzählen. « »Lisa!«, rutschte es mir heraus . »Du weißt es also schon?«, fragte er . »Die Polizei war in der Schule. « »Die Polizei?«, wiederholte meine Mutter. Sie wurde schreck lich blass . Tom hatte offenbar nicht verstanden, wovon wir redeten . »What’s the matter?«, fragte er und sah von einem zum anderen . »Eine Freundin von Sofie ist gestern Abend nicht nach Haus e gekommen«, erklärte mein Vater. »Sie ist spurlos verschwun den. « »Sie ist nicht meine Freundin.« Ich schüttelte den Kopf . »Es wird doch nichts passiert sein?«, fragte meine Mutter ner vös . »Ich habe Lisa gestern Abend noch gesehen«, versuchte ich si e zu beruhigen. »Sie war mit Carlotta und Valerie zusammen . Wahrscheinlich sind sie noch ins Eiscafé gegangen oder so. Au f jeden Fall wollte sie bald nach Hause. Bis dahin ist es ja nur ei n Katzensprung. Sie wird schon wieder auftauchen. « »Aber sie ist seit über siebzehn Stunden verschwunden«, wider sprach mein Vater . »Hat denn niemand bemerkt, dass sie gestern Abend
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