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Dornroeschengift

Dornroeschengift

Titel: Dornroeschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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ich in einem Nachthemd meiner Mutter, das nach Lavendel duftete, und mit einer Wärmflasche im Bett. Allein das zeigte mir, dass meine Welt völlig außer Kontrolle geraten war. Mein Vater hatte mir ein Beruhigungsmittel gegen den Schock geben wollen, doch ich hatte entsetzt abgelehnt. Zu deutlich war die Erinnerung an Lisa und daran, dass ähnliche Tropfen ihr das Leben gekostet hatten. Allein in meinem Zimmer kam der Schock tatsächlich verspätet. Toms überraschtes Gesicht, als Finn auf ihn losging, ihn einfach bewusstlos schlug, ohne dass er sich wehrte. Wie er regungslos und gekrümmt auf dem Boden der Höhle gelegen hatte, wäh rend Finn meinen Vater mit dem Handy benachrichtigte. Die Polizei und mein Vater rückten gerade an, als Tom wieder zu sich kam – und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er froh war, dass es vorbei war. Vielleicht aber war es auch anders und er konnte sich nur nicht wehren, denn am Ende schrie er vor Kopfschmerzen. Sie hatten ihn in eine Klinik eingeliefert. Nich t in ein normales Krankenhaus, sondern in die Psychiatrie . Konnte man einen Schock überwinden, wenn immer noch di e Zähne klapperten, die Übelkeit in Wellen durch den Körper lie f und man permanent zitterte ? Wenn man das Gefühl hatte, nie wieder Wärme spüren zu kön nen? Nirgends ! Nicht im Körper, nicht in dem Haus, in dem man wohnte, un d schon gar nicht in der Welt . Ich wünschte, Jamaica wäre hiergeblieben . Mit ihrem Humor, ihrer Stärke, ihrem unbedingten Willen, al len Ereignissen den – sorry! – Mittelfinger zu zeigen . Nun betraten meine Eltern das Zimmer, hielten sich an de r Hand, was mir peinlich war . Jetzt kommt sie also, dachte ich spöttisch, die Stunde de r Wahrheit . »Ich glaube, wir müssen reden«, sagte Pa . Ich setzte mich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. E s schien mir zu früh für Harmonie. »Ich nicht. « »Gib uns eine Chance, dir alles zu erklären. « Ich bemerkte die Tränen in Mams Augen und schluckte mein e eigenen hinunter . »Wie willst du deine Lügen erklären?«, fragte ich . »Wir haben Mike geliebt. « »Ich weiß. « »Er war unser Sohn. « »Und ich?«, fragte ich bitter. »Bin ich euer richtiges Kind , oder . . .? « »Ja, das bist du«, nickte mein Vater. »Ich kann es dir beweise n mit deiner Geburtsurkunde. « Ein kurzes unmerkliches Zögern, dann setzte sich Mam zu mi r aufs Bett .
    »Liebe macht nicht immer alles richtig.« Aus ihrer Stimme hörte ich Verzweiflung und den Wunsch, ich möge ihr verzeihen. »Und . . .«, sie suchte nach den richtigen Worten. »Gerade, weil... weil Mike nicht unser eigenes Kind war... wollte ich versuchen, ihm das Gefühl zu geben, dass die wahre Herkunft keine Rolle spielt. Dass ich ihn um seiner selbst liebte.« Sie hatten vergessen, wie schlau ich war. »Warum habt ihr ihm dann nicht die Chance gegeben, auch euch um eurer selbst zu lieben? Ihr hattet doch nur Angst vor den Problemen, oder? Er hätte nach seinen richtigen Eltern gesucht. Das wolltet ihr nicht. Das ist so feige. Ihr seid feige!« »Nein, so war es nicht.« Pa schüttelte den Kopf. »Mikes Eltern, Philip und Nina, sind bei einem Autounfall gestorben, als Mike erst vier Jahre alt war. Sie waren unsere besten Freunde und wir Mikes Taufpaten. Verstehst du, wir hatten Philip und Nina ver sprochen, uns um Mike zu kümmern, falls ihnen etwas zusto ßen sollte.« Mam begann zu weinen. »Was hätte ihm die Wahr heit genutzt? Sie hätte ihn nur ein Leben lang belastet.« Ich spürte, wie sich etwas in mir regte. Wie sich die Hände vor meiner Brust lösten. Ich hatte mit einer anderen Geschichte ge rechnet. »Und als ich erfuhr, dass Mike verschwunden, wahrscheinlich ertrunken war?« Nun schluchzte meine Mutter, dennoch sprach sie weiter. »Ich habe nicht auf ihn aufgepasst, obwohl ich es Ni na versprochen hatte. Ich habe ihn nicht beschützt, ich habe ihn gehen lassen.« »Hast du ihm die Wahrheit erzählt, als er das mit der Adoption herausfand?« »Ja.« »Warum hat er es mir dann nicht erzählt?«, schrie ich laut und konnte mich nicht mehr beruhigen. »Er hätte es mir sagen müs sen! Ich habe ein Recht darauf! Aber er hat dasselbe gemacht wie ihr – mich in dem Glauben gelassen, er sei mein Bruder. E r hat mich belogen wie ihr! Und jetzt ist er tot. « Mein Vater griff nach meiner Hand. Sie fühlte sich steif in seine r an. »Siehst du nicht, dass er sich für denselben Weg entschie den hat wie wir? Er wollte, dass du seine Schwester bleibst.

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