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Dornroeschengift

Dornroeschengift

Titel: Dornroeschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Ich hatte keine Richtung, keinen Plan, kein Ziel. Vorbei an der Schule, wo gestern der Abschlussball stattge funden hatte; vorbei am Gemeindehaus, wo in meiner Erinne rung alles angefangen hatte; vorbei am Eiscafé, wo ich durch die große Fensterscheibe einige meiner Klassenkameraden sitzen sah. Hätte ich nur einen Menschen, mit dem ich alles besprechen, der mir helfen könnte. Kurz – jemandem, dem ich vertraute. Ich bog in die Hauptstraße ein, die direkt zum Restaurant führ te. Drei Polizeifahrzeuge kamen mir mit Blaulicht entgegen. Suchten sie nach Finn? Aber ich wusste jetzt: Er trug keine Schuld an Lisas Tod. Das musste ich ihm sagen. Er musste mir eine zweite Chance geben. Und – auch das verstand ich: Ich brauchte seine Hilfe. Finn wür de mir helfen, Jamaica zu finden. Jamaica, ach, warum nur musstest du so neugierig sein und dich in Dinge einmischen, die dich nichts angehen?
    Die frisch gestrichene Fassade des Restaurants leuchtete in der Sonne derart hell, dass mir die Augen brannten. Der Parkplatz war bis auf den letzten Platz besetzt. Bei diesem Wetter zog es die Ausflügler ans Meer. Viele ließen hier das Auto stehen, um zu Fuß durch den Gespensterwald bis zum Strand zu wandern. Einige von ihnen kehrten bereits wie der zurück. Die Uhr auf meinem Handy zeigte halb fünf. Ich stellte das Fahrrad auf dem Hof ab und betrat das Restau rant. Als ich den Weg in die Küche einschlug, hörte ich jeman den rufen. »Suchst du das Klo?« Einer der Küchenangestellten stand auf dem Hinterhof neben einer Mülltonne und rauchte. Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte zu Finn Jansen.« »Damenbesuch?« Er pfiff durch die Zähne und deutete auf die Treppe hinter mir. »Da musst du hochgehen. Die wohnen im ersten Stock.« »Danke.« »Aber wahrscheinlich ist er nicht da, ich habe ihn weggehen sehen. Seine Mutter ist in der Küche, wenn du sie fragen willst.« Er warf die Zigarette zu Boden und trat sie aus. »Sie muss heute bedienen. Eine ihrer Kellnerinnen ist ausgefallen. Irgendwas mit ihrer Tochter.« Im ersten Moment war mir nicht klar, dass er damit Jamaica meinte. Als ich es begriff, erschreckte mich seine Gleichgültig keit. Ich stieß die Tür zur Küche auf. Ein Geruch nach zerkochtem Gemüse, nach Bratfett, nach Fisch schlug mir entgegen. Finns Mutter trug eine lange weiße Schürze. Die Haare unter ei nem weißen Kopftuch versteckt, rührte sie in einem riesigen silbernen Kochtopf. Dann nahm sie mit dem Kochlöffel eine Probe und kostete das Ergebnis der weißen Soße.
    Als sie mich bemerkte, winkte sie mich ungeduldig zu sich : »Möchtest du probieren? Der erste Spargel in diesem Jahr! « Ich schüttelte den Kopf. Die Gerüche reichten aus, um mir Übel keit zu verursachen . »Du bist die Tochter vom Doktor!« Sie schaute mich freund lich an . Ich nickte . »Und mit Jamaica befreundet, stimmt’s? « »Ja. « Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Schrecklich! Wirklich furcht bar! Das ist eine Welt, in der wir leben. Man denkt, hier auf de m Land sind die Kinder sicher, und dann verschwinden sie ein fach.« Sie brach ab. »Wenn du Finn suchst, er ist nicht da. « »Wissen Sie, wo er ist? « Sie zuckte mit den Schultern. »Er hatte seine Kamera dabei , deswegen denke ich, er wollte fotografieren. Ich könnte mi r vorstellen, dass er bei dem Wetter im Wald unterwegs ist. End lich mal ein anderes Licht und nicht nur Nebel. Soll ich ihm sa gen, dass du hier warst? « Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich suche ihn selbst. « Sie warf einen Blick durch die großen Fenster nach draußen. »E r kann überall sein. « »Egal.« Ich wandte mich um . »Ich habe kein gutes Gefühl, wenn du alleine unterwegs bist. « »Kein Problem! « »Wissen deine Eltern, wo du bist? « »Klar! « Sie betrachtete mich misstrauisch . Wie leicht es mir inzwischen fiel zu lügen. Es war ganz einfach . Dennoch war ich unglücklich darüber. Gab es denn niemanden , mit dem man einfach reden konnte? Plötzlich konnte ich Car lotta verstehen. Die Wahrheit war manchmal nicht einfach .
    Der Gespensterwald war nicht besonders groß, er erstreckte sich nicht mehr als eineinhalb Kilometer bis zum Meer. Aber wie ich Finn einschätzte, würde er sicher nicht auf den Haupt wegen bleiben. Ich stieg auf das Fahrrad und fuhr los. Ich hatte nicht mehr als zweihundert Meter zurückgelegt, als ich hinter mir ein Auto hörte. Automatisch fuhr ich näher an den Straßenrand, um es vorbeizulassen. Doch der Wagen dros selte sein Tempo und folgte mir

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