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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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Außerdem hatte ich auch zwei Verehrer, Philippe Calmon aus Toulon und Charles Warwick aus London. Sie waren beide sehr aufmerksam, und eigentlich hätte ich nur mit dem Finger schnippen müssen, doch wenn ich ehrlich bin, waren sie mir zu jung. Grüne Jungs! Ich glaube, ich interessiere mich eher für reifere Männer.
     
    Und so ging es über viele Seiten hinweg. Die nächsten vier Jahre verbrachte Gwendolyn damit, durch die Welt zu reisen und Sprachen zu studieren. Wie Mandy zwischen den Zeilen lesen konnte, mußte sie sich zu einer jungen Frau entwickelt haben, die sich ihrer Anziehungskraft durchaus bewußt war.
    Dennoch entströmte ihren Worten eine gewisse kühle Aura, die den Leser ahnen ließ, daß sie in jeglicher Hinsicht unberührt geblieben war. Wie schöner, aber kalter Marmor, dachte Mandy. Dann, im Frühjahr 1963, schien sich das Blatt zu wenden. Gwendolyn verbrachte mehrere Monate in New York.
     
    15. April 1963
     Vor ein paar Tagen bin ich hier in New York angekommen, und es ist das Aufregendste, was ich je erlebt habe. Kathy Sparks hat mich eingeladen, sie hier zu besuchen. Sie lebt mit ihren Eltern in einem dieser wunderschönen Art-Deco-Häuser an der Upper Eastside direkt am Central Park, und ich habe das Gefühl, ich müßte Edith Wharton begegnen, sobald ich die Straße überquere.
    Ich bin wirklich froh, daß ich die Erbschaft von meiner Mutter habe, die mir all diese schönen Dinge erlaubt, denn von Vater wäre das nicht zu erwarten. Ich habe vorgestern mit ihm telefoniert, aber er war so schweigsam wie immer, gerade daß er seinen Pflichtteil am Gespräch erfüllt hat. Warum gebe ich es nicht auf? Vielleicht habe ich immer noch die Hoffnung, er ändert sich eines Tages. Ich bin doch ganz gut geraten – warum hat er mich denn nicht gern? Warum ist er nie stolz auf mich? Wenn ich wüßte, was zu tun wäre, um seine Anerkennung und seine Zuneigung zu bekommen, dann würde ich es tun. Aber ich habe alles probiert, und mir fällt einfach nichts mehr ein.
    Manchmal denke ich, er gibt mir die Schuld am Tod meiner Mutter, aber warum sollte ihn das traurig stimmen? Er hat sie doch ebensowenig geliebt wie mich. Tante Laura hat mir genau erzählt, wie das damals alles war …
    Jetzt bin ich richtig abgeschweift. Das tue ich immer, sobald ich nur an diesen hageren, kalten Mann da in seinem Londoner Haus denke, dabei wollte ich doch von New York erzählen.
     
    23. April 1963
    In einer Seitenstraße der Fifth Avenue habe ich eine kleine feine Boutique entdeckt. Endlich habe ich das Kleid für den Ball bei den Copelands gefunden: Ein Traum in dunkelroter Seide und schwarzer Spitze. Oleg Cassini hat es entworfen, der Couturier von Grace Kelly, oder vielmehr sollte ich sagen, der Fürstin von Monaco. Danach ging ich zum Friseur und ließ mir die Haare im Jackie-Kennedy-Look schneiden. Jetzt bin ich die perfekte Mischung aus Fürstin und Präsidentengattin.
     
    25. April 1963
    Eigentlich hatte ich mir geschworen, mich nie zu verlieben. Wohin das führt, habe ich ja durch die Ehe meiner Eltern gesehen. Wer liebt, ist immer der Schwächere – und meine Mutter war anscheinend so schwach, daß sie den Tod dem heben vorgezogen hat. Aber trotzdem: Ich will mein Leben leben, und Liebe läßt sich eben nicht verhindern. Selbst wenn ich es wollte, ich glaube, ich kann es nicht.
    Ich war in einem dieser schönen alten Buchläden in Greenwich Village, um mir endlich »The Grass Harp« von Truman Capote zu kaufen. Ein Freund von Kathy schwärmte mir neulich den ganzen Abend davon vor. Ich stand also zwischen den Regalen und schmökerte in verschiedenen Büchern, als ich ihn plötzlich sah. Er las in einem Buch über Chagall und war ganz vertieft. Mich schien er ohnehin nicht zu bemerken. Doch dann blickte er hoch und sah mich an.
    Ich werde diesen Blick nie vergessen, auch wenn ich diesen Mann nie mehr sehen werde. Was wahrscheinlich ist. Aber diese Augen hatten für mich etwas Einzigartiges. So sehnsuchtsvoll und melancholisch – ich hatte den Eindruck, als könnte dieser Mann in den tiefsten Abgrund meiner Seele blicken. Ich fühlte mich beinahe nackt. Mein Herz klopfte wie wild, ich hatte so etwas noch nie erlebt. Wenn er mich angesprochen hätte, wäre mir vor Aufregung wahrscheinlich die Luft weggeblieben.
    Ach, hätte er es nur getan, dann wüßte ich wenigstens, wer er ist. Die ganze Zeit überlege ich, wie ich ihn wiedertreffen könnte. Aber die Stadt ist zu groß, um auf den Zufall zu hoffen …
     
    26.

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