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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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sechshundert Orgasmen durch oral-genitale Kontakte mit ihrer Katze gehabt hatte) – die Vorstellung allein reichte aus, um die Öffentlichkeit zu einer nahezu einhelligen Verdammung unserer Methoden, unserer Ziele, unserer Persönlichkeiten und Charakterzüge anzustacheln. Unter den Kongreßabgeordneten wurden sogar Stimmen laut, die darüber spekulierten, ob Das sexuelle Verhalten der Frau nicht den Kommunisten in die Hände spielte, deren Ziel doch die Untergrabung der Moral des Landes war.
    Prok wurde als »Verfechter der freien Liebe« bezeichnet, als ein »Verbreiter von Schmutz und obszöner Literatur«, als »verkommener Nebukadnezar«, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Frauen »auf das Niveau wilder Tiere« hinabzuzerren. Alte Feinde wie Margaret Mead und Lawrence Kubie standen auf, um ihn zu verurteilen, und es kamen neue hinzu, wie zum Beispiel der Prediger Billy Graham oder Reinhold Niebuhr oder Karl Menninger, der den Band über das sexuelle Verhalten des Mannes gepriesen hatte und dessen Abkehr Prok eine tiefe, unheilbare Wunde schlug. Die Kritik? Anfangs war sie streng moralisch begründet: Man warf Prok die Behauptung vor, daß grundsätzlich keine Art von Triebbefriedigung zu beanstanden sei und daß die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen diese gewissermaßen legitimiere, wohingegen man der Überzeugung war, daß solche Verhaltensweisen sehr wohl Schuldgefühle erzeugen sollten, denn Schuld sei für die Entstehung und Erhaltung von Grundsätzen der Sittlichkeit unabdingbar. Und dann traten die Kollegen aus der Wissenschaftsgemeinde an, um unsere Analyse der Statistiken in Zweifel zu ziehen, und das war eine echte Katastrophe.
    Natürlich war Prok klug genug, der Aufregung zunächst auszuweichen: Am Erscheinungstag stiegen wir alle – Mac, Corcoran, Rutledge, Aspinall und ich – in den Zug und machten eine dreiwöchige Exkursion nach Kalifornien, wo wir uns mit den Insassen von San Quentin einschlossen und so unerreichbar waren, wie man es als Lebender nur sein konnte. Doch dann waren wir wieder in Bloomington, wo das Telefon nicht aufhörte zu läuten, und Prok begann seinen Gegenangriff. Er trieb sich noch mehr an, er rechtfertigte sich und kämpfte um den Erhalt des Instituts, doch die Rockefeller Foundation war unter Druck geraten und hatte unsere Stipendien gestrichen, und selbst President Wells’ Verteidigung der akademischen Freiheit begann hohl zu klingen angesichts der Angriffe empörter ehemaliger Studenten, des Kuratoriums und der Vereinigung der katholischen Frauen von Indiana. Prok strauchelte. Er taumelte. Je mehr er sich antrieb, desto schwerer hatte es sein störrisches Herz. Er erlitt eine Reihe kleinerer Infarkte. Die Ärzte verschrieben ihm Bettruhe, aber nichts konnte ihn im Bett halten. Selbst ein Urlaub mit Mac, eine Europareise, die ihn von der Arbeit ablenken und dazu bringen sollte, kürzer zu treten, erwies sich als anstrengend, denn er mußte bis in die frühen Morgenstunden aufbleiben und Huren und Stricher in den Straßen von London, Kopenhagen und Rom interviewen. Es war unvermeidlich, daß die Kraft ihn schließlich verließ.
    Aber das ist nicht der Prok, den ich in Erinnerung behalten will. Ich will nicht den abgezehrten, verwirrt wirkenden Menschen in Erinnerung behalten, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, den Mann, der täglich Besprechungen einberief, weil er nicht mehr über die nötige Konzentration und geistige Spannkraft verfügte, diesen bloßen Abklatsch von Prok, von dem wir alle glaubten, er werde jeden Augenblick die Maske fallenlassen und brüllen: »Milk, Corcoran, Rutledge, ihr bringt die Fakten durcheinander und haltet das Projekt auf!« Den toten Prok. Den Prok im Sarg, der so schwer war, als wäre er mit Steinen, mit Blei, mit glühender Lava gefüllt, denn kein Sterblicher konnte auch nur annähernd so schwer sein ...
    Ich weiß nicht, was ich tun werde. Ich weiß nicht einmal, ob ich morgen noch einen Job haben werde. Und ich kann nicht noch einen Zombie trinken, weil Zombies bei mir nicht mehr wirken. Dieser eine, der vor mir steht, ist der letzte, den ich trinken werde, zu Ehren von Prok, aus Respekt vor ihm. Bourbon, ich werde Bourbon trinken, aber keinen Rum. Niemals. Schon der Geruch beschwört Prok herauf – Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste ... Da sitze ich nun. Die Tür meines Arbeitszimmers ist verschlossen, und das Tonband wird von der Antriebsrolle an den Tonköpfen vorbeigezogen, ein dahineilendes, magnetisiertes

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