Jones, Diana Wynne
1.
Dass Mitt überhaupt am Holander Seefest teilnahm, muss so manchen verwundert haben. Wieso trug er eine Bombe bei sich, und wusste er eigentlich, was er da tat? Am Ende hat sich Mitt die gleichen Fragen gestellt.
Mitt war am Tag des Holander Seefestes geboren worden, und seine Eltern nannten ihn nach seinem Vater Alhammitt. Sie lachten herzlich über beides, und ihr Lachen war wohl das Erste, was Mitt je hörte, kaum dass er brüllend das Licht der Welt erblickt hatte.
»Na, wenigstens war es ihm nicht eilig«, sagte Mitts Vater, »und er hat sich seinen Tag gut ausgesucht. Was wird man, wenn man am Seefest auf die Welt kommt? Ein Mann aus Stroh, geboren, um zu ertrinken?«
Milda, Mitts Mutter, lachte herzlich darüber, denn das Seefest war eine recht komische Angelegenheit. An diesem Tag musste sich Hadd, der Graf von Holand, in eine absonderliche Tracht kleiden, eine Prozession zum Hafen führen und dabei eine lebensgroße Puppe aus Strohgeflecht tragen, so verlangte es der Brauch. Die Puppe nannte man den Armen Alten Ammet. Einer von Hadds Söhnen musste hinter ihm gehen und die Frau des Armen Alten Ammet schleppen, die ganz aus Früchten bestand und Libby Bier hieß. Den beiden Adligen folgte eine lautstarke, bizarre Prozession. Nachdem sie den Hafen erreicht hatten, sprachen der Graf und sein Sohn festgelegte, überlieferte Worte und warfen die beiden Puppen ins Meer. Niemand kannte den Grund dafür. Den meisten Menschen in Holand bot die Zeremonie eine gute Ausrede, um einen Tag lang zu faulenzen, sich mit Süßigkeiten voll zu stopfen und zu betrinken. Doch andererseits glaubten alle Holander, dass schreckliches Unheil drohe, wurde das Seefest nicht abgehalten.
Eingedenk dessen beugte sich Milda über ihren Neugeborenen und sagte, obwohl sie so sehr lachen musste, dass ihr Wangengrübchen völlig verschwunden war: »Ich glaube, er hat Glück mit seinem Geburtstag. Er wird zu einer wahrhaft freien Seele heranwachsen, genau wie du, wart’s nur ab! Und deshalb nenne ich ihn nach dir.«
»Dann sticht er nicht heraus«, entgegnete Mitts Vater. »Genau wie ich. Wenn du in die Stadt gehst und auf der Straße ›Alhammitt‹ rufst, dann kommt halb Holand angelaufen.« Und beide lachten sie über den alltäglichen Namen, den sie ihrem Kind gaben.
Mitts frühste Erinnerungen bestanden aus dem Lachen seiner Eltern. Sie lebten unbeschwert. Sie hatten großes Glück und konnten einen kleinen Hof auf dem Land des Grafen pachten, das als Neuer Koog bekannt war und nur zehn Meilen vom Holander Hafen entfernt lag. Graf Hadds Großvater hatte das Land dem Meer abgewonnen, und nun wuchs dort fettes grünes Gras, saftiges Gemüse und gesundes Korn in schmalen gelben Streifen zwischen den Entwässerungsgräben. Der Hof, der Grabensend hieß, war so fruchtbar und lag so dicht am Markt von Holand, dass Mitts Eltern ein gutes Auskommen hatten. Graf Hadd sagte man indes nach, er sei in ganz Dalemark der härteste Lehnsherr. Wenn Bauern die Pacht nicht zahlen konnten, jagte er sie gnadenlos von seinem Land. Bei Mitts Eltern aber reichte das Geld immer. Sie lachten viel. Mitt kannte es bald nicht anders, als dass er sorglos auf den Wegen zwischen den Feldfrüchten und den Entwässerungsgräben umherrannte. So wuchs er auf. Niemandem kam je in den Sinn, er könnte hineinfallen und ertrinken. Im Alter von zwei Jahren brachte er sich selbst das Schwimmen bei, indem er beim Rennen tatsächlich in einen Graben stürzte, während seine Eltern beschäftigt waren. Weil ihm niemand helfen konnte, musste er sich selber retten. Er kämpfte sich ans Ufer und kletterte hinaus; dann rannte er weiter, und seine Kleider trockneten im starken Wind.
Neben dem Lachen seiner Eltern nahmen die Geräusche dieses Windes den größten Raum seiner frühen Erinnerungen ein. Von dem Hügel abgesehen, auf dem die Stadt Holand stand, war der Koog so flach wie ein Brett. Der Wind blies stetig von der See heran. Manchmal erhob er sich zum Sturm. Dann drückte er das Gras platt, zerfetzte in den Gräben das Spiegelbild des Himmels zu grauen Zackenmustern und bog die Bäume zur Seite, dass nur die weiße Unterseite ihrer Blätter zu sehen war. An den meisten Tagen aber blies er unaufhörlich und mit gleicher Stärke, kräuselte das Wasser in den Gräben und rasselte und klapperte im Laubwerk der Pappeln und Erlen, die an ihren Ufern wuchsen. Wenn der Weizen reif war, raschelte er steif im Wind wie Stroh in einer Matratze. Der Wind seufzte im Gras und summte
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