Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
einen Stromstoß versetzt.
»Ich an Ihrer Stelle wäre vorsichtig, was diese Truhe angeht. Sehr vorsichtig sogar.«
Siris Traum in dieser Nacht lieferte keine Antworten auf seine Fragen. Der inzwischen eindeutig als Khampet identifizierte Herr A segelte langsam durch die Luft auf den Nam-Phou-Brunnen zu. Er segelte dahin wie ein Falke, doch der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Man hatte ihm lange Holzpflöcke durch Hände und Füße getrieben. Ein weiterer drang ihm vom Genick aus in den Schädel. Aber das schien ihn nicht weiter zu stören. Seine eigentliche Sorge galt dem, was sich hinter ihm befand, und worum auch immer es sich dabei handeln mochte, es war in der Traumeinstellung nicht zu sehen. Der okkulte Kameramann ließ es buchstäblich im Dunkeln.
Doch einen Sekundenbruchteil lang, zu kurz, um sich Gewissenheit zu verschaffen, glaubte Siri eine Reihe von Zeugen auf dem Dach erblickt zu haben. Sie machten einen glücklichen oder, besser, zufriedenen Eindruck . Sie sahen aus wie alte Schauspieler, dick geschminkt und in traditionellen laotischen Kostümen. Womöglich hatten sie sogar applaudiert, aber da es Siri furchtbar schwergefallen war, überhaupt etwas zu erkennen, hatte er sich das vielleicht nur eingebildet.
Das glaubte er zumindest, als er erwachte. Wie üblich befand er sich nach einem solchen Traum in einem Zustand, in dem er sich fragte, ob er tatsächlich bei Bewusstsein war oder noch träumte. In diesen furchterregenden Momenten erschienen ihm seine Besucher so real, als wären sie bei ihm im Zimmer.
Alles war still. Da die Sterne noch immer in der Hitze flirrten, die von der heißen Erde aufstieg, wusste er, dass er nicht allzu lange geschlafen haben konnte. Er lag draußen auf der Veranda. Ein seltener Sommerwindhauch bauschte das Moskitonetz. Wieder. Und wieder. Kaum merklich
wiegte es sich ebenso langsam wie gleichmäßig hin und her.
Siri wandte den Kopf und starrte in die Dunkelheit – und in die stumpfen Augen eines Bären. Er war so nah, dass sein Atem das Netz in Schwingung versetzte. So nah, dass das frische Blut an seinen Lefzen deutlich zu erkennen war; so nah, dass Siri seine Zahnfäule riechen konnte.
Er saß da und beobachtete den Doktor. Siri spürte, welche Macht das Tier über ihn hatte. Trotzdem machte es ihm keine Angst. Zugegeben, die Sache war ihm irgendwie nicht ganz geheuer, doch sein Instinkt sagte ihm, dass der Bär ihm nichts zuleide tun wollte. Als es seine Inspektion beendet hatte, erhob sich das Tier unter Schmerzen und verschwand in Siris stibitztem Dschungel.
Als Siri das nächste Mal erwachte, war es Morgen. In Kürze würde die Sonne über Fräulein Vongs blitzblankem Häuschen aufgehen. Bevor er es vergaß und die Lautsprecher der Regierung mit ihrem nervtötenden Geplärr begannen, griff er nach dem Notizbuch auf dem Tisch neben der Pritsche. Er zündete die Öllampe an und protokollierte seinen Traum.
Saloop schleppte sich wie eine fettleibige Motte dem Licht entgegen und legte den Kopf auf den Pritschenrand. Siri kraulte ihn.
»Du hast im Garten heute Morgen nicht zufällig einen Bären gesehen?«, fragte Siri.
Wie immer behielt Saloop seine Geheimnisse für sich. Er hatte seine Pflicht vernachlässigt und stattdessen mit der kessen Hündin aus der Eisfabrik geturtelt. Natürlich hatte er den Eindringling gewittert, als er heimgekommen war. Er wusste zwar nicht, was er da gerochen hatte, aber es war ohne Zweifel groß und furchterregend.
3
DER RECHTE BISS
Als Siri am nächsten Morgen zur Arbeit kam, fegte Herr Geung die toten Kakerlaken aus dem Lagerraum.
»Morgen, Herr Geung.«
»W... Wohlsein, Genosse Doktor.«
»Irgendwelche Neuzugänge heute?«
Er rechnete mit einem klaren »Nein«. Geung lachte und richtete den Blick gen Himmel, als sei Siris durchaus angebrachte Frage die absurdeste Begrüßung, die man sich nur vorstellen konnte. Er wurde dieses Spielchens niemals überdrüssig. Siri trug sich bisweilen mit dem Gedanken, in die Gehirnwindungen seines getreuen Freundes zu kriechen, um dessen einfache Freuden nachempfinden zu können.
»Neuzugang in R... R... Raum eins, Genosse Doktor.«
»Oje.« Siri stöhnte. »Wird es in Raum eins nicht langsam etwas eng?«
Sie hatten nur die eine Kühlkammer. Soviel Siri wusste, hatten sie schon die Herren A und B mittels provisorischer Bambusliegen übereinandergestapelt und den verfügbaren Stauraum so verdoppelt.
Geung lachte schnaubend. »N... n... nein. Herr A und Herr B
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