Drachenblut 2 - Linien | textBLOXX
Nackenhaare auf. D'Santo saß mir völlig ruhig gegenüber. Seine Mine war ebenso unergründlich, wie die Tiefen des Alten Meeres . Ein Profipockerspieler hätte sich an ihm die Zähne ausgebissen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Das Angebot war absolut fantastisch. Ein Akolyth der Gilde zu sein, war ein Privileg. Ein Akolyth hatte ausgesorgt. Als Mitglied der Gilde war man faktisch unantastbar. Keine Gruppe, selbst die Kirche der unifizierten Technokratie wagten es, ein Mitglied der Gilde anzufassen. Wie gesagt, das Angebot war fantastisch. Ich würde nie mehr hungern oder stehlen müssen. Allerdings würde ich mit meinem bisherigem Leben brechen müssen. Ich würde einen neuen Namen erhalten und von da an aufhören Prado Cassanter zu sein. Mein Leben, so hatte ich über die Akolythen der Gilde gehört, wäre von da an dem Studium und dem Dienst der Gilde gewidmet. In gewisser Weise hieß es, meine Freiheit aufzugeben. Doch was war dies für eine Freiheit? Die Freiheit zu Hungern. zu stehlen und vor den Wachen und Dieben auf der Hut zu sein? Wie lange würde ich noch so überleben können? Was verlor ich wirklich, wenn ich mein bisheriges Leben auf gab?
»Meine Antwort lautet: Ich nehme an!«
»Das freut mich zu hören. Aber bist du dir sicher? Ist es deine eigene, freie Entscheidung?«
»Ja, es ist meine Entscheidung! Ich will ein Akolyth der Gilde werden. Frei und ohne Zwang nehme ich das Angebot an.«
»Entgültig und unwiederuflich?«
»Ja, entgültig und unwiederuflich!«
»Willkommen in der Gilde. Von nun an ist dein Name S EGATO G'N ARN !«
Das war also mein neuer Name. Segato G'Narn. Ein typischer Gildename. Ich lächelte. Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen.
»Was wäre, wenn ich nein gesagt hätte?«
Erogals Züge lockerten sich ein wenig, als er lächelte.
»Du kennst die Antwort auf deine Frage.«
»Niemand hat jemals einen Meister der Gilde gesehen...«, wiederholte ich einen Satz, der mir von Erogal D'Santo in Erinnerung geblieben war.
»Niemand, der noch am leben ist.«, fügte D'Santo hinzu. In seiner rechten Hand hielt er plötzlich eine Schußwaffe, die tötliche Gilftpfeile verschoß. Hätte ich nein gesagt, hätte ich die Bibliothek nicht lebend verlassen.
»Gut oder Böse? Bis auf einen Vorzeichenfehler kann ich da keinen Unterschied entdecken.«
N ESTOR C ANISUS P RAX III , Königlicher Hofmathematiker und Philosoph der Schule der fundamentalistischen Symetriker
»Warum ich?« Die Frage drängte sich einfach auf. Wer war ich schon, dass mich ein Gildemeister fragte, ob ich ein Mitglied der Gilde werden würde.
Erogal D'Santo musterte mich lange bevor er antwortete. Aus seiner Miene war nicht ersichtlich, ob er über die Antwort nachdenken musste oder über die Frage einfach nur amüsiert war.
»Was weißt du von der Gilde?«
»Vermutlich nicht viel. Ich weiß nur das, was man sich erzählt. Das die Gilde sehr mächtig ist. Das sie sich politisch absolut neutral verhält. Ist das nicht ein Widerspruch? Wie kann man gleichzeitig neutral und mächtig sein? Immerhin scheint die Gilde oder ihre Mitglieder sehr wohlhabend zu sein.«
Während meines letzten Satzes ließ ich demonstrativ meinen Blick über die wertvollen Bücher, Möbel und anderen Einrichtungsgegenständen der Bibliothek gleiten. Erogal lächtelte! Die Selbstbeherrschung in Person lächelte und mit diesem Lächeln begann der ganze Mann aufzutauen. Statt ausdruckslos in seinem Clubsessel zu sitzen, lümmelte er sich regelrecht in den Sessel hinein.
»Du kannst dir deine erste Frage selbst beantworten. Du hast dich vorhin in der Bibliothek umgesehen. Kannst du mir sagen, wie der Schreibtisch hinter dir aussieht, ohne dich umzudrehen?«
Das war einfach. Ich musste mir nur das Bild von dem Schreibtisch in Erinnerung bringen: »Ein Holzschreibtisch. Dunkles, lackiertes, stark mamoriertes Holz. Links und rechts sind Türen die mit Intarsien versehen sind, In der rechten Tür steckt ein Schlüssel im Schloß, in der linken nicht. Zwischen den Seiten mit den Türen befindet sich eine flache Schublade unter der Oberfläche. Auf der Oberfläche liegt ein grüne Schreibmatte. Dahinter ein Tintenfass mit schwarzer Tinte, eine Glasschaale mit zwei perlmuttverzierten Füllfederhaltern, ein Tintenkissen, Löschpapier. Beleuchtet wird der Schreibtisch von einer messingfarbenen länglichen Schreibtischlampe mit grünem Glasschirm. Unter der rechten Ecke der Schreibunterlage lugt ein kleiner weißer Zettel hervor.«
Mein
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