Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Hunde, die um die besten Happen stritten, all das konnte Barnaba ertragen … es waren Geräusche, die aufbrandeten und wieder verstummten. Doch eines blieb die ganze Nacht. Es war immer da, leise und eindringlich: das Summen der Fliegen. Sie waren ohne Zahl. Und wenn sie die Eier ablegten, aus denen binnen einer einzigen Nacht Maden schlüpften, unterschieden sie nicht zwischen Toten und Sterbenden. Ihre Brut nährte sich auch von denen, die zu schwach waren, noch mit der Hand zu wedeln, um die Fliegen zu verscheuchen.
Erst vor ein paar Tagen hatten ihn die Jäger von seiner geliebten Ikuška getrennt und gnadenlos zusammengeschlagen. Danach war er kaum mehr in der Lage gewesen, einen Arm zu heben. Er ballte die Fäuste und kämpfte gegen das Schluchzen an, das seine Kehle hinaufstieg. Tränen standen ihm in den Augen. Ikuška! Die Xana aus dem einsamen Tal hatte ihm das Leben gerettet. Der Traum seiner Kindheit war wahr geworden. Gegen jede Wahrscheinlichkeit. Es war nichts Daimonisches an ihr gewesen. Sie hatte vielmehr Angst gehabt vor dieser Welt, den Menschen und den übermächtigen Devanthar. Und dennoch hatte sie ihn gerettet. Mit ihr war er so glücklich gewesen, dass er es für einen Traum gehalten hatte.
Dann war Gatha mit den Jägern und Hirten der Berge gekommen und hatte alles zerstört. Sie hatten Ikuška ermordet und ihn verschleppt. Auf eins ihrer kleinen, stinkenden Pferde gebunden, war er hierhergekommen, auf diese trockene Ebene, die zwei eitle Unsterbliche zum Schlachthaus ihrer Völker auserkoren hatten. Fliegen hatten Barnaba damals auf dem ganzen Weg von den Bergen zur Ebene umkreist. Sie waren ihm in die Augenwinkel und Nasenlöcher gekrochen, gierig nach jedem Hauch von Feuchtigkeit. In seine schwärenden Wunden hatten sie ihre Eier gelegt. Und er hatte sich nicht wehren können, war auf ein Pferd gebunden und war den ersten Tag lang dem Tod näher als dem Leben gewesen. Schon vor der Schlacht hatte er die Fliegen fürchten gelernt. Ihr tiefes, leises Summen war ihm ein Grauen. Er musste es nur hören und bildete sich schon ein, ihre kleinen schwarzen Beine wieder auf seinem Gesicht zu spüren.
Schwer auf seinen Stab gestützt, wanderte er weiter, den Blick auf den Boden gerichtet. Einige der toten Leiber waren schon aufgedunsen. Leicht süßlicher Verwesungsgeruch begann den Gestank nach Fäkalien zu überlagern. Wenn man den Odem des Todes lange genug einatmete, hinterließ er einen üblen Geschmack im Mund, der sich nur mit saurem Wein oder Essigwasser hinunterspülen ließ.
Barnaba strich sich erneut mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. Es waren keine Fliegen dort! Heute kamen sie zu den Toten, nicht zu den Lebenden. Er betrachtete seine Hand, die sich nicht mehr seinem Willen fügte. Sie war mit Schorf überzogen und noch immer geschwollen von den Schlägen. Das dunkle, fast schwarze Blau der Prellungen begann an den Rändern zu einem leicht grünlichen Ton zu verblassen. Er musste sich diese Geste wieder abgewöhnen. Musste er? Was sollte dieser Anflug von Eitelkeit? Die Jäger und Hirten der kargen Berge Garagums hielten ihn ohnehin für verrückt. Er war ein Mann, den die Götter berührt hatten. Einer, den sie sich nicht mehr nehmen ließen. In seinen Gedanken hallten ihre hasserfüllten Schreie wider. Barnaba schloss die Augen und sah noch einmal, wie Ikuška von ihren Pfeilen durchbohrt wurde.
»Lass deine Finger davon!«, zischte eine raue Stimme hinter ihm.
Das blutige Bild in seiner Erinnerung zerstob, doch blieb das Gefühl, auch er selbst sei von diesen Pfeilen tödlich verwundet worden. Wie konnte man weiterleben, wenn man sein Glück gefunden und es wieder verloren hatte?
»Ich habe es zuerst gesehen. Lass es liegen!«, giftete die raue Stimme erneut.
Barnaba drehte sich müde um und sah eine junge Frau ein paar Schritt entfernt zwischen den Leichen kauern. Ihr gegenüber stand gestikulierend eine Alte mit drohend erhobener Faust. Die junge Frau hockte über einem Krieger mit langem, schwarzem Haar, dessen Kopf in unnatürlichem Winkel verdreht war. Der Tote war nackt. Ausgeplündert. Er musste einmal ein bedeutender Mann gewesen sein, denn die Leichenfledderer hatten ihm weder sein Lendentuch noch seine Sandalen gelassen. Ein Satrap vielleicht? Oder ein Leibwächter der beiden Unsterblichen? Er war von stattlicher Statur. Ganz anders als das Mädchen, das sich nun gierig über ihn beugte. Ihr Gesicht war von roten Geschwüren bedeckt. Ihr Mund klaffte auf.
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