Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
eine zerstörte Gewissheit keimt immer schon der Traum nach einer neuen Wahrheit, der es zu folgen gilt. So wird die Welt regiert.«
Barnaba maß den Schamanen mit ungläubigem Blick. Er hatte Gatha immer für einen närrischen Wilden gehalten. Wahrscheinlich hätte er sich gut mit Abir Ataš verstanden, dem Hohepriester, der sich gegen Aaron verschworen hatte und dem Barnaba so lange gedient hatte.
»Der Umgang mit der Macht ist dir nicht fremd, nicht wahr?«
Barnaba wich dem stechenden Blick des Alten aus. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Mich kannst du nicht täuschen, Junge. Wer in ein Tal am Ende der Welt flieht, der muss mächtige Feinde haben. Und die hat man nur, wenn man der Macht nahe war. Warum sonst hätten selbst die Daimonen nach dir greifen sollen? Du trägst ein Geheimnis in dir …« Er lachte leise, ein Laut, der Barnaba an das freudlose Meckern einer mürrischen Ziege erinnerte. »Keine Sorge, dein Geheimnis interessiert mich nicht. Was immer es ist, ich bin den Göttern dankbar, denn es hat dich hierhergeführt, und ich brauche jemanden wie dich.«
Und weil du mich brauchst, musste Ikuška sterben , dachte Barnaba zornig. Er wusste, dass der alte Schamane ihn zu seinem Nachfolger machen wollte. Aus diesem Grund musste er die Jäger und Hirten in den Bergen kennenlernen, um ihre Sorgen und Eigenarten wissen. Er sollte unter ihnen leben, bis sie ihn, den Fremden, anerkannten. Es würde Jahre dauern. Der Alte dachte weit in die Zukunft. Doch Barnaba wollte nie wieder die rechte Hand eines Priesters sein.
Gatha griff nach dem Messer. Kaum dass er es berührte, zuckte er zurück. Mit weiten Augen sah er die Waffe an. »Dies ist …« Er schüttelte sich wie ein Hund, der sein nasses Fell trocknete. »Dunkelheit«, murmelte er und spuckte auf die Waffe. »Übel wohnt in diesem Erz. In ein Schlangennest zu greifen ist weniger gefährlich, als diesen Dolch zu berühren. Wir müssen ihn an einen Ort bringen, wo keines Menschen Hand ihn mehr erreichen kann.«
Skeptisch betrachtete Barnaba das Messer, das vor ihm lag. Sein Griff war mit schmuddeligen Lederriemen umwickelt, doch die Klinge war ungewöhnlich. Sie schimmerte silbern und wirkte anders als die eisernen Waffen, die er bislang gesehen hatte. Kein Anflug von Rost zeigte sich auf dem Metall, dafür ein leicht bläulicher Glanz. Der Dolch war eigenartig … Aber war er wirklich böse? Er griff nach der Waffe. »Du meinst wohl, ich soll sie tragen, wenn es dir so unangenehm ist, sie zu berühren.«
Gatha schien den Atem anzuhalten. »Du spürst nichts?«, fragte er schließlich misstrauisch.
Das Messer lag gut in Barnabas Hand. Eine angenehme Wärme erfüllte ihn und plötzlich auch ein Gefühl von Macht, wie er es nie zuvor empfunden hatte.
»Du fühlst es auch, nicht wahr?« Der Schamane hatte seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und musterte ihn argwöhnisch.
»Ich spüre nichts«, log Barnaba.
»Unsinn«, zischte Gatha ihn an. »Ich kann es doch sehen. Du bist schon jetzt besessen von dem Messer. Es ist nicht von dieser Welt, genauso wie die Daimonin, die dich in den See gelockt hat. Lass es fallen. Es befleckt deine Seele!«
Barnaba dachte an Ikuška. An die Stunden mit ihr, die er für einen Traum gehalten hatte. Sie hatte ihn gerettet, als er im Sterben lag. Hatte ihm alles gegeben, und ihr Lohn war ein schrecklicher Tod gewesen. Tränen traten ihm in die Augen. »Du hast recht, Gatha. Meine Seele ist befleckt«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Ich kann dich retten.« Der Schamane beugte sich nah zu ihm hinab. »Das Land wird dich heilen. Du brauchst die Einsamkeit der Berge. Dort wirst du die Daimonen abstreifen, die noch immer in dir wüten.«
Tränen rannen Barnaba über die Wangen. Er fühlte Ikuškas Küsse auf seinen Lippen, als habe er eben noch an ihrer Seite gelegen. Er war verloren! Die Einsamkeit würde ihn nicht heilen. Seine Hand schnellte vor. Das Messer traf Gathas Kehle, noch bevor der Alte zurückweichen konnte. Er brach in die Knie. Wie ein zweiter Mund klaffte der weite Schnitt in seiner Kehle.
Barnaba erhob sich und sah sich um. Um ihn herum war alles still, nichts regte sich. Niemand hatte gesehen, was er getan hatte. Gatha war noch nicht tot, obwohl sich sein Blut in einem breiten Sturzbach über seine Brust ergoss. Der Alte blickte zu Barnaba auf. Seine Lippen bewegten sich, doch statt Worten brachten sie nur noch ein unverständliches Gurgeln hervor. Barnaba hielt dem Blick des
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