Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
»Sie hat in den großen Schatten geschaut. Sie vermag nichts mehr zu erfreuen. Das ist …«
Volodi legte dem kleineren Mann beide Hände auf die Schultern. Der Krieger ahnte, was »in den großen Schatten schauen« bedeutete. »Du wirst einfach dein Bestes geben, mein Freund. Ich war einmal ein Anführer von vielen hundert Kriegern. Meine Männer nannten mich ›Der über den Adlern schreitet‹. Das taten sie, weil ich nicht hinnehme, dass etwas unmöglich ist, bevor ich nicht auch den letzten denkbaren Weg gegangen bin. Wir beide werden es schaffen, dass Quetzalli wieder ihren Kopf hebt und vom Schatten aufschaut in das Licht der Sonne.«
»Du bist anders als die anderen Männer, denen ich bisher gedient habe …«
»Wie heißt du?«
»Das wirst du dir nicht merken können, Auserwählter. Die Namen meines Volkes sind nicht für die Zungen der goldhaarigen Waldmänner geschaffen.«
Volodi war sich bewusst, dass der kleine Kerl wahrscheinlich recht hatte. Aber er wollte es zumindest versuchen. »Verrat mir dennoch deinen Namen.«
»Ichtaca.«
»Isch-ta-ca.« Volodi sprach den Namen leise, abschätzend, rollte ihn auf der Zunge, so wie einen unbekannten Wein, von dem man noch nicht wusste, ob er Freude oder Kopfschmerzen bringen würde. »Ischtaca. Hat das eine Bedeutung?«
»Es heißt Geheimnis«, entgegnete der Zapote ernst.
»Ein gutes Omen. Wir werden gemeinsam das Geheimnis ergründen, was zu tun ist, um Quetzalli aus dem großen Schatten zurück ins Leben zu holen.«
»Das werden wir.« Ichtaca verbeugte sich feierlich. »Das werden wir, Auserwählter.« Dann eilte er davon.
Volodi sah ihm nach, bis er hinter einem Dickicht rot blühender Büsche verschwand. Der Drusnier wollte nicht sofort zurück nach oben gehen. Er wusste, sich einfach zu Quetzalli zu legen und sie in den Arm zu nehmen, war nicht genug. In Gedanken versunken, schlenderte er in den Park. Die schmalen Wege zwischen den Häusern der Auserwählten waren mit kleinen weißen Steinen ausgelegt, die unter jedem seiner Schritte knirschten. Keine welke Blüte, kein abgerissenes Blatt befleckten das Weiß. Dieser Ort sollte vollkommen sein. Er wanderte an einem Teich vorbei, in dessen steinerne Ufereinfassung gewundene Schlangen gemeißelt waren. Große, weiße Blüten trieben auf dem grünen See, und hin und wieder glitten buntscheckige Fische an der Grenze zwischen Dunkelheit und Zwielicht durch das Wasser. Gerade noch wahrnehmbar.
Volodi wünschte sich, er würde mehr über Frauen wissen. Wie konnte er Quetzalli die Freude am Leben zurückgeben? Was mochte sie? Würde gutes Essen sie aufmuntern? Bei ihm half es!
Er schlenderte weiter in den Park hinein. Gedankenverloren lauschte er dem Lied der Vögel und wunderte sich über die prächtigen Farben ihres Gefieders. Sie alle schienen einander darin überbieten zu wollen, wer der prächtigste Gaukler in den Lüften war. Volodi dachte zurück an die Sommer in Drus. Wie er zusammen mit seinem Bruder Bozidar auf die Jagd gegangen war. Was er jetzt wohl machte?
So lange hatten sie sich nicht gesehen. Er war der Ältere von ihnen, der Verantwortungsbewusstere. Als die Kämpfe mit Arcumenna, dem Laris von Truria, endeten, war Bozidar heimgekehrt. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein. Ob ihr Vater noch lebte? Oder saß sein Bruder nun auf dem schlichten Holzthron im Langhaus ihres Vaters. Er würde gern noch einmal durch die Wälder seiner Heimat streifen. An der Seite seines Bruders. Einen Tag nur … Aber das war nun einmal nicht sein Schicksal. Er würde fern der Heimat sterben. Nicht auf einem Schlachtfeld. Er würde geschlachtet werden wie Vieh.
Volodi hatte einen riesigen Steinquader erreicht, der sich, umringt von blühenden Pfirsichbäumen, inmitten eines Hains erhob. Er genoss den Duft der Blüten und betrachtete das seltsame Monument. Tiefe Linien waren in den schneeweißen Stein geschnitten. Er zeigte einen stilisierten Tierkopf. Jetzt erkannte er ein Auge, einen aufgerissenen Kiefer mit Fangzähnen.
Er umrundete den Quader und sah, dass er sich auf der Front seite öffnete. Eine Treppe mit weiten Stufen führte in die Erde hin ab. Am Rand der Stufen standen in langer Reihe Öllampen, ihre goldenen Flämmchen flackerten in dem warmen Luftzug, der fast einem langen Ausatmen gleich aus der Tiefe der Erde kam.
»Du stehst vor dem Schlangenschlund«, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
Erschrocken fuhr Volodi herum. Hinter ihm stand ein großer, hagerer Mann, der
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