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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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– und saß dabei so gerade wie selten zuvor in ihrem Leben.
    Vor ihr auf dem Kiesbett stand ein kleiner Junge von etwa fünf Jahren. Er war schlaksig, hatte verstrubbelte Haare, und seine Nase wölbte sich aus einem Meer von Sommersprossen hervor. Sein Gesicht schien prädestiniert für jene Art Grinsen, das treusorgende Eltern über lange Jahre hinweg um den Schlaf bringt. Derzeit wirkte es jedoch eher verschüchtert.
    Es dauerte einen Moment, bis Auguste Fledermeyer bemerkte, dass sie aus einem Reflex heraus ihre Hand fest um die Schulter des Jungen geklammert hatte. Nach kurzer Überlegung zog sie sie zurück und schien damit wesentlich zu seiner Erleichterung beizutragen.
    In seinem jugendlichen und überaus aufgeschlossenen Gemüt waren für das Wort „Furcht“ bisher nur wenige Kapitel reserviert. Die prompte Reaktion der Frau hatte ihn überrascht. Seine Auffassungsgabe zeichnete sich allerdings durch außerordentliche Flexibilität aus. Derzeit beschäftigte sie sich mit der Frage, ob sich aus dieser Begegnung nicht vielleicht ein kleiner Vorteil schlagen ließe.
    Unterdessen bedachte ihn Auguste mit einem strengen Blick. Eine Augenbraue wanderte mahnend in die Höhe.
    „Sag mal, kleiner Mann, wo hast du deine Eltern gelassen?“
    Der Junge hob eine Hand und wies mit dem Daumen in eine ganz bestimmte Richtung. Als Auguste sich anstrengte, konnte sie zwei näherkommende Stimmen hören. Ihre Tonlage war von aufkeimender Sorge gezeichnet.
    Langsam beugte sich die Hexe ein Stück zu dem Jungen heran.
    „Du bist ihnen doch nicht etwa davongelaufen, oder?“
    Mit einem leichten Kopfschütteln und einem erstaunlich beredten Minimum an Mimik betonte der Junge, dass diese Unterstellung seine persönliche Unschuld zutiefst verletze.
    Mit stillem Lächeln lehnte sich Auguste wieder zurück.
    Dann schauten sich beide für einen langen Augenblick an.
    „Kannst du mir sagen, ob sich hier in der Nähe ein Dorf befindet?“
    Der Kleine nickte, und sein Daumen wechselte die Richtung.
    „Sehr gut. Wenn du mir jetzt noch…“
    Sie hielt mit offenem Mund inne, und ihre Augenbrauen wanderten aufeinander zu.
    „Hast du an diesem Ort schon mal eine Hütte gesehen?“
    In der persönlichen Welt des Jungen ließ sich an einer solchen Äußerung kein Anstoß nehmen. Nicht, solange sie von einem Erwachsenen stammte. Innerlich hob er die Schultern, dann schüttelte er abermals den Kopf.
    Wenige Augenblicke später war Auguste Fledermeyer unterwegs. Sie hatte alles Nötige erfahren und keine Lust, sich auch noch mit den Eltern des Jungen zu unterhalten. Bei Hexen führte so etwas meist zu Schwierigkeiten. Darüber hinaus hatte sie das Gefühl, dass bereits mehr als genug Zeit vertan worden war.
    Etwas enttäuscht setzte sich der Junge hinter ihr auf die Bank und wartete mit einem Ausdruck perfekter Unschuld auf seine Eltern. Unschlüssig spielte er dabei mit dem Geschenk der Fremden. Es sollte noch eine Weile dauern, bis er dahinterkam, dass sich seine Laufbahn als Tunichtgut mit dem kleinen, unscheinbaren Spiegel nicht unwesentlich beschleunigen ließ.
    Mehrere Jahre später sammelten sich Gerüchte über einen jungen Mann, der zunächst einige Zeit im Auftrag der eigenen Libido quer durch Europa gondelte. Schließlich überquerte er den Atlantik. Dort ging er nach Hollywood und begann eine durchaus einträgliche Karriere als Visagist. Zahllose Darstellerinnen schworen, dass niemand sonst ein derart inniges Verständnis für ihre Leiden aufbrachte, was nicht nur seine finanzielle Situation erbaulich gestaltete, sondern auch die Zahl der einsamen Nächte auf ein Minimum reduzierte. Doch das ist eine gänzlich andere Geschichte.

Müßig blätterte Zacharias Korkenbaum in einem kleinen Hefter. Bruder Nikodemus hatte ihn anlässlich der jüngsten Ausschussratssitzung verteilt. Bürokratie, so befand der Bischof, war eine segensreiche Gabe: Wenn man Probleme auf Papier einfing und sie durch einen hübschen Filter von Konzepten, Diagrammen und Analysen quetschte, wirkte meistens alles schon bedeutend besser. In dieser Hinsicht schienen selbst die anwesenden Ingenieure religiös.
    An einer langen Tafel aufgereiht hatten knapp zwanzig verschlafene Personen Platz genommen, reichlich versorgt mit Säften und Biskuits. Sie alle warteten gebannt auf den Vortrag von Bruder Nikodemus. Dieser hatte bereits eifrig vor einem großen Standblock Aufstellung bezogen.
    Es gab zwei gute Gründe, warum Korkenbaum seinem Assistenten den Vortritt

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