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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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wusste Auguste nur zu gut, dass die Wirklichkeit weit nüchterner ausfiel. Und normalerweise brachte ihr ästhetisches Empfinden dagegen keine Einwände vor. Zugegeben: In Gegenwart der Wachen hätte sie gern den einen oder anderen tatkräftigen Dämon beschworen. Bedauerlicherweise aber funktionierte so etwas nicht.
    Hexenmagie neigte zu einer gewissen Subtilität. Sie konnte die Wirklichkeit ein wenig in die richtige Richtung schubsen, Dinge zum Wachsen bringen oder davon abhalten. Drastische und prompte Effekte dagegen waren nur sehr eingeschränkt zu haben. Und mit dem Teufel hatte sie überdies recht wenig zu tun.
    Letztlich war Auguste nichts anderes übriggeblieben, als sich vor den Inquisitor schaffen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt verband die beiden bereits eine recht lange Bekanntschaft, und die Erinnerung an ihre verschiedenen Begegnungen jagte der Hexe immer wieder ein Schaudern über den Rücken.
    Mit den Klosterbrüdern von Bad Brommlingen gab es selten Schwierigkeiten. Solange sie über ihren Büchern saßen und hin und wieder Glocken läuten durften, waren sie zufrieden. Auch mit den einfachen Leuten war alles in Ordnung. Sie kümmerten sich nicht sonderlich um die Hexen, und diese drängten sich ihrerseits nicht auf. Brauchte man doch einmal die Hilfe des anderen, geschah alles in einhelliger Verschwiegenheit.
    Mit dem Inquisitor aber lagen die Dinge anders. Theodosius de Vendetta war ein dürrer Mann in langer Robe, der über eisblaue Augen verfügte und immer gewichtig aussehende Dokumente mit sich führte. Wiewohl sein Äußeres recht nüchtern ausfiel, konnte sich Auguste nicht verhehlen, dass er sie zunächst beeindruckt hatte.
    Ständig waren seine rastlosen Gedanken auf der Suche nach Sünde. Und wer immer es schaffte, seine Aufmerksamkeit dabei auf sich zu lenken, konnte mit einer knappen und unangenehmen Zukunft rechnen.
    Das Schlimmste aber war, dass er die Leute dazu brachte, Angst zu haben. Und de Vendetta besaß Geschick darin, aus dieser Angst die absonderlichsten Blüten zu ziehen. Nicht selten zum Nachteil der Hexen.
    Gleich zu Beginn ihrer sonderbaren Beziehung hatte sich jedoch herausgestellt, dass Letztere, zumindest ab einem gewissen Lebensalter, mehr oder minder unbrennbar waren. Ein Umstand, für den Auguste mit der Zeit doch recht dankbar wurde.
    Laut dem Handwörterbuch für Hexen und andere fabulare Existenzen, dem so genannten Druden, handelte es sich dabei um eine Eigenschaft, die sie mit den Eibenbäumen teilten. Je älter eine Eibe wurde, desto enger legten sich die Jahresringe um ihren Stamm. Nach außen hin wuchs sie nur ausgesprochen langsam, manchmal war ein solches Wachstum kaum noch wahrnehmbar. Doch im Inneren wurde ihr Holz immer dichter – und härter. Ähnlich verhielt es sich mit Hexen.
    Je mächtiger sie wurden und je mehr Jahre ins Land gingen, desto mehr verfestigte sich ihr Wesen. Bis sie letzten Endes so sehr sie selbst, so sehr von ihrer eigenen Essenz durchdrungen waren, dass nicht einmal das Feuer mehr an ihnen haften konnte. Bedauerlicherweise führte dieser Vorgang auch dazu, dass Hexen nicht eben für ihre Kompromissbereitschaft bekannt waren, was seinerseits stets zu neuen Schwierigkeiten führte.
    Man schrie nach Leibeskräften, zappelte ein bisschen, und wenn die neugierige Menge schließlich im Wirtshaus saß, machte man sich unauffällig davon. So lief es für gewöhnlich, und wenn der Morgen empor dämmerte, fiel kaum jemandem auf, dass einige Scheiterhaufen verlassen waren.
    Irgendwann allerdings musste der Inquisitor dahintergekommen sein. Auguste verlor bald den Überblick darüber, wie oft man sie schon oben auf den Holzstoß gestellt hatte. Rückblickend schien es nur eine Frage der Zeit. Aber weder sie noch eine der anderen Hexen hatte sich darüber Gedanken gemacht. Mochte Theodosius de Vendetta doch wissen, was er wollte – was sollte er tun?
    Bis einige von ihnen plötzlich verschwanden. Es begann ganz allmählich, Mütterchen Gunhilda war die Erste. Doch bald gab es immer mehr Hexen, die von ihren Verbrennungen nicht zurückkehrten. Ihre Pfähle waren verlassen wie eh und je. Aber niemand konnte sagen, wohin sie gegangen waren.
    Irgendwo in Augustes Kopf begann etwas zu klingeln. Doch bevor sie darauf eingehen konnte, schnitt sich jäh eine Stimme in ihre Gedanken.
    „Mama sagt, allein im Wald schlafen bringt Ungeziefer.“
    Auguste wusste nicht genau, wie es geschah. Doch binnen eines halben Herzschlags hatte sie sich aufgerichtet

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