Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
an oder in ihr ist, das diesem Mann, dessen Leben doch wie prasselndes Feuer ist, noch zusätzlich Kraft geben könnte. “Ich wußte nicht, daß ich dir soviel bedeute”, murmelt sie nachdenklich.
“Durch dich habe ich gelernt, die Menschen wirklich zu lieben”, sagt Goff, und in seiner Stimme ist neben ein wenig Trauer viel Zuversicht, “ich habe begriffen, daß man einen Menschen nicht einfach in die schlechte und die gute Hälfte teilen kann, um sie gegeneinander abzuwägen. Als wir uns kennenlernten, war es erst Neugier, dann Begierde. Es gab Augenblicke, da habe ich dich gehaßt, glaubte es zumindest. Aber was mich faszinierte, regelrecht krank machte: Nirgends war Eigennutz oder Selbstgefälligkeit in dem, was du tatest oder sagtest, und was ich oft für Naivität hielt, war in Wirklichkeit sich selbst entwaffnende Ehrlichkeit im Denken und Fühlen. Diese Ehrlichkeit ist eine teuflische Macht; man meint, sie benutzen und betrügen zu können, weil sie sich ihren Weg mühsam sucht, wie ein Schildkröte angekrochen kommt. Aber sie erreicht fast immer ihr Ziel…”
“Danke für das nette Kompliment”, sagt Hendrikje spitz. “Du hättest mich ja auch mit einer Schnecke oder einem Regenwurm vergleichen können.”
Goff lacht herzlich auf. “Du bist die ehrlichste, klügste und schönste Frau auf dieser Welt! Zufrieden?”
“Nein”, sagt Hendrikje leise, und sie weiß selbst nicht, warum sie plötzlich wieder an Flakke denken muß, an Skamander, an Marigg Ellis…
Goff scheint in ihren Gedanken lesen zu können und diese viel besser zu verstehen als sie selbst.
“Du bist… die wärmste Frau der Welt…”, sagt er heiser.
“Danke”, flüstert Hendrikje, und ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen. Aber durch den feuchten Schleier hindurch sieht sie verschwommen, wie am Urbanidum Maximum die Lettern der Tageslosung blinken und sich zu einem neuen Satz formieren. Ihr Rücken wird steif, und sie hält den Atem an.
Was wird nun geschehen, wird er ihr verzeihen können, wird er immer noch sagen, daß sie ihm Kraft gibt?
“Was ist, meine Liebe?” fragt Goff erstaunt. Das muß ihn ja auch wundern, denkt sie. Erst heule ich, und dann starre ich an ihm vorbei in die Luft, als explodierte da gerade die Sonne. Wenn ihn das nicht erstaunen würde, wäre alles Lüge, was er vorhin so schön gesagt hat.
“Schau mal zum Umax hinüber”, sagt sie unsicher. Goff dreht sich verblüfft um. In Sekundenbruchteilen versteinert er. Sie sieht, wie sich seine Lippen bewegen, ungläubig die neue Tageslosung buchstabieren.
“Mungoismus ist eine Folge der genetischen Optimierung” – steht da in flammender Schrift.
Fassungslos flüstert Goff die Tageslosung. Einmal, ein zweites und ein drittes Mal.
“Welcher Idiot hat das verbrochen!” ruft er wutentbrannt. “Das kann doch nicht wahr sein, das darf einfach nicht wahr sein! Die machen uns alles kaputt!”
Hendrikje kriecht fröstelnd in sich zusammen. Auf einmal spürt sie wieder die kühle Nachtluft, den leisen Wind, die Feuchtigkeit. Tiefe Angst befällt sie, ihr Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. “Los, komm!” Er greift ihre Hand und zerrt Hendrikje hinter sich her. “Denen werde ich…”
Hendrikje läßt sich wenige Schritte mitziehen, dann bleibt sie stehen.
“Was ist? Komm schon, wir haben keine Zeit!” ruft er ungeduldig.
“Du kannst es nicht mehr ändern, Hermel”, sagt sie tonlos. Das ist das Ende, durchfährt es sie. Aus, alles aus! Und wieder steigen ihr Tränen in die Augen, Tränen der Wut und der Trauer, des Trotzes und der Verzweiflung.
“Quatsch! Und wenn ich das Große Gehirn in Stücke hauen muß – das da kommt weg!” schreit Goff.
Eisige Kälte durchströmt Hendrikje. So ist es, wenn man sich überhebt, an mehr zu denken als nur an das eigene armselige Glück. O Hermel, wie gern wäre ich bei dir geblieben, ich kann dir doch alles verzeihen und alles verstehen, deine Ungeduld, deine Unnachgiebigkeit, deine Härte und auch deinen schrecklichen Irrtum. Hendrikjes Gedanken sind wie hilflose Schreie, das Herz hämmert in einem apokalyptischen Rhythmus… Doch irgendwie geschieht das alles in einem anderen Wesen, einer anderen Hendrikje. Sie hat das Gefühl, als würde sie sich unter gräßlichen Schmerzen selbst gebären, sich aus der alten, zu eng gewordenen Haut herausreißen, und plötzlich ist da nur noch ein wehmütiger Klang in ihrem Fühlen, ein Nachhall von Dingen, die lange vor dieser Wiedergeburt geschehen
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