UNBÄNDIGE LUST - 1. Teil (German Edition)
EINS
Der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln als
wir engumschlungen über die Pont Neuf - die älteste Brücke von Paris - hinüber
zum anderen Seineufer spazierten. Der köstliche Pomerol in dem kleinen Restaurant
in der Nähe des Louvre hatte uns in eine heitere, gelöste Stimmung versetzt. Es
war kurz vor Mitternacht und sternenklar. Ein Vollmond thronte majestätisch am
Firmament und tauchte die Stadt in ein zauberhaftes, romantisches Licht.
Inmitten der Brücke, etwa in Höhe der Île de la
Cité kniete Robert plötzlich vor mir nieder und sagte mit heiserer Stimme:
»Melina, ich liebe Dich so unendlich wie ich es
kaum ausdrücken kann! Ich möchte Dich inständig bitten, meine Frau zu werden!«
Dann zog Robert den schwarzen Lederhandschuh von
meiner linken Hand und steckte mir mit steifen Fingern einen großen
Brillantring an den Ringfinger, dessen Schönheit mit den Sternen am Himmel um
die Wette funkelte.
Ich öffnete den Mund, aber ich hörte mich nichts
sagen. Ich konnte nichts sagen. Tränen traten mir in die Augen und tausende
Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Lange schaute ich auf Robert herab,
unfähig einer Reaktion.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich ihn
fragen:
»Melina willst Du, dass ich am Boden
festfriere?«
Seine Stimme hatte einen leicht genervten
Unterton angenommen. Ich schluchzte heftig und schüttelte den Kopf. Robert
deutete dies als Zeichen meiner Zustimmung und erhob sich, schloss mich eng in
seine Arme und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss.
Mit einer Liebeserklärung in aller
Öffentlichkeit hatte ich niemals gerechnet. Und mit einem Heiratsantrag schon
gar nicht.
Robert hatte in den letzten Monaten bis zur
Erschöpfung an der Fusion zweier bedeutender Telekommunikationsunternehmen gearbeitet
und erst am heutigen Nachmittag waren die Verträge im Hotel Crillon feierlich
unterzeichnet worden. Es war ein großer Erfolg seiner Anwaltskanzlei Marchand,
Kühn und Partner gewesen, die sich auf komplizierte Fusionen zwischen
französischen und deutschen Firmen spezialisiert hatte. Zeitweilig hatten mehr
als fünfzig Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unter seiner Leitung
an dem Projekt gearbeitet.
Während dieser Zeit ging ich wie gewohnt meiner
Tätigkeit als Leiterin der Kulturredaktion des deutschen Ablegers der
Frauenzeitschrift World of Women nach. Wobei ich mich liebend gerne mehr
mit wirklicher Kultur beschäftigen würde, aber die meisten Klicks im Internet,
die ja einen direkten Rückschluss auf das Leseverhalten der Zeitungskäuferinnen
zulassen, zeigen leider ein gesteigertes Interesse an den Ludern aus Hollywood,
Paris oder Berlin, die auf dem roten Teppich versehentlich ihre
Unterwäsche vergessen oder gleich ganz als Nacktschnecke unterwegs sind.
Sex sells mehr denn je.
Aus diesem Grunde hatte ich spontan zugesagt,
als ich ein Interview mit dem polnischen Künstler André Donat - Nachfahre eines
alten polnischen Adelsgeschlechts - angeboten bekam. Seine ungemein
realistischen, erotischen Skulpturen ebenso wie die weich gezeichneten, Konturen
verwischenden Fotos pornografischer Motive sind zwar durchaus als sexistisch zu
bezeichnen, werden aber derzeit international zu Höchstpreisen gehandelt.
Warnungen vor dem als äußerst schwierig und aufbrausend bekannten Künstler,
schlug ich in den Wind.
Welch ein Fehler!
»Denkst Du noch an ihn?«
Roberts Worte brachten mich abrupt zurück in die
Realität.
»Nein«, log ich und kuschelte mich eng an ihn,
während ich aus dem Fenster des Taxis auf die schneebedeckten Straßen blickte.
Dieser einmalige, besondere Abend war absolut
nicht der richtige Moment um ehrlich zu sein. Ich versuche sonst immer ehrlich
zu sein, vielleicht zu ehrlich. Ich finde Ehrlichkeit ist in einer Beziehung
ungeheuer wichtig. Gerade deshalb habe ich Robert meinen Fehltritt auch umgehend
gebeichtet, als wir das darauffolgende Wochenende zusammen in Berlin
verbrachten. Aber ich würde es nie wieder tun.
Die unglaubliche Kränkung, die ich ihm damit
angetan hatte, war überdeutlich in seinen Augen abzulesen. Dieser schöne,
charakterstarke und überaus intelligente Mann sah aus, als hätte man ihm das
Herz bei lebendigem Leibe herausgerissen. Er hatte mit den Tränen gekämpft,
seine Augen hatten sich gerötet und ein nie dagewesener harter, geradezu
diabolischer Zug war auf seinen wundervoll geschwungenen, vollen Lippen
erschienen. Minutenlang hatte er mich wortlos angestarrt. Bis ich diesem
elenden
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