Drachensturm
niedergeschlagen.
» Vielleicht haben sie Nahrung und Unterkunft, auch für dich«, meinte Kemaq.
Sie schüttelte den Kopf. » Es sind deine Leute, nicht meine, und … ich werde sicher nicht zu diesen Menschen gehen, die mit ihrer Zauberei unsere Drachen getötet haben!«
» Aber worauf willst du warten? Tamachoc ist fort, und die anderen fliegenden Götter auch.«
» Nabu nicht«, entgegnete die Fremde.
» Dein Drachen, der dort unten lag?«, fragte Kemaq verlegen.
Die Fremde nickte.
» Was wirst du jetzt tun?«, fragte Kemaq.
Sie sah ihn zornig an: » Ich werde hier warten, bis Nabu seinen Kopf aus dem Wasser steckt. Drachen können schwimmen, verstehst du?«
» Ich verstehe«, sagte Kemaq. Er erhob sich. Er war ein Läufer, gut darin, die Worte anderer auswendig zu lernen und wiederzugeben, wenn es verlangt wurde. Er war nicht sehr gut darin, selbst die passenden Worte zu finden. » Ich wünsche dir Glück«, sagte er etwas steif.
Sie nickte ihm zu. » Dir auch, Läufer«, erwiderte sie.
Er drehte sich um und stieg über die Felsen vorsichtig hinüber ans Ufer, unsicher, was Pitumi zu den Ereignissen sagen würde. Als er das Ufer erreichte und aufblickte, sah sie ihn einfach nur an.
» Tamachoc ist fort«, sagte er, » und der Regenstein mit ihm.«
» Wir sind nicht blind, Chaski«, sagte Pitumi mit einem Lächeln.
» Aber ich habe versagt, ich habe das Opfer nicht gebracht, und nun …« Er konnte nicht weiterreden.
Der grauhaarige Chachapoya schüttelte unwillig den Kopf. » Er ist noch dümmer, als ich dachte«, knurrte er.
Pitumi legte Kemaq eine Hand sanft auf den Arm. » Glaubst du, wir hätten das nicht vorher gewusst? Dein Herz ist viel zu gut, als dass du eine blinde Frau töten könntest.«
» Aber …«
» Die Zeichen waren schwer zu deuten, aber endlich, als es schon fast zu spät war, verstanden wir, dass du nur mit ihrer Hilfe deine Aufgabe würdest erfüllen können.«
» Tamachoc hatte mehr Vertrauen in dich als wir, Steinmensch«, warf der Grauhaarige knurrend ein. Er gab den anderen mit einem Kopfnicken ein Zeichen, und sie verschwanden ohne ein weiteres Wort zwischen den Bäumen.
Pitumi und Kemaq blieben allein zurück.
» Meine Aufgabe?«, fragte Kemaq, der immer noch nicht verstand.
» Tamachoc ist in Sicherheit, der Regenstein mit ihm, und sieh – die Regenschlange spendet uns auch aus der Ferne weiter ihren Segen.« Pitumi hielt die Hände und das Gesicht in den Regen. Die graugrünen Kriegsfarben, die sie aufgetragen hatte, waren schon halb abgewaschen.
Kemaq starrte verwirrt abwechselnd in ihr Gesicht und dann wieder in den Himmel. » Und jetzt?«
» Komm mit uns«, sagte Pitumi und streckte die Hand aus. Kemaq nahm sie und folgte ihr in den tiefgrünen Dschungel.
Mila blieb allein auf der Insel und wartete. Sie wartete bis zum Sonnenuntergang, dem ersten, den sie je mit eigenen Augen sehen konnte. Er war prachtvoll: Die letzten Regenwolken zogen einen flammendroten Schleier vor die gewaltigen Berge, ein Anblick unbeschreiblicher Schönheit. Aber das berührte sie nicht. Sie sah, aber alles, was sie sah, bedeutete ihr nichts, und alles, was ihr etwas bedeutete, war fort. Der Orden war zerstört, die Drachen verschwunden, ihr Großonkel tot – und Nabu? Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Sie fragte sich, ob wenigstens die Drachen bei Tamachoc endlich gefunden hatten, was sie so viele Jahrhunderte lang vergeblich gesucht hatten. Sie hoffte es, hoffte, dass für die Drachen die Erlösung von ihrem alten Fluch weniger bitter schmeckte als ihre eigene. Sie saß auch noch auf der Insel, als es dunkel geworden war und die Sterne mit kaltem Glitzern am Firmament aufzogen, und mit jedem weiteren aufgehenden Stern sank ihre Hoffnung.
Doch dann, als spät in der Nacht der Mond aufging, hörte sie ein Schnauben, gefolgt von einem missmutigen Niesen, und dann entdeckte sie den Kopf eines Drachen über dem schwarzen Wasser in der Senke.
» Nabu?«, rief sie ungläubig.
» Mila, endlich!«
» Nabu!«
» Kannst du von dort oben herunterkommen? Wir Drachen können zwar schwimmen, aber doch nicht diese Stromschnellen hinauf!«
» Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen!«, rief sie mit erstickter Stimme.
» Viel hat nicht gefehlt«, keuchte der Drache. Einer seiner Flügel hing schlaff im Wasser. » Aber halt – du sagst, du siehst?«
» Ja, warte, ich komme hinunter!«
Sie sprang über die Felsen zum Ufer, und irgendwie hinab, dahin, wo der Drache
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