Drachensturm
Wasser, der lautstark vor der Höhle hinabdonnerte.
» Im Wasser?«, fragte Kemaq ungläubig.
» Vielleicht gibt es da noch eine Höhlung, verstehst du? So etwas wie eine Vertiefung, in der der Stein versteckt ist. Gibt es denn dort keine Stelle, die … irgendwie anders ist?«
Sie ist wirklich klug, dachte Kemaq und schielte nach dem Messer. Aber erst musste er prüfen, ob wirklich stimmte, was sie vermutete. Er tastete sich vorsichtig an den Rand der Höhle. Der Boden war nass und tückisch, und er würde viele Schritte in die Tiefe stürzen, wenn er hier fehltrat. Er biss die Zähne zusammen. Wenn die Priester den Stein dort versteckt hatten, dann doch sicher so, dass sie sich nicht umbrachten, wenn sie ihn hervorholen wollten. Er tastete den Felsen ab – erst oben, ohne etwas zu finden, dann ging er auf die Knie. Da – eine Höhlung. Sein Herz schlug schneller. Er fasste hinein. Da war etwas, eingewickelt in ölgetränktes Leinen. Der Regenstein – er hatte ihn gefunden! Er betastete das Leinen und zögerte. Das Blutopfer war noch nicht gebracht. Payakmama hatte ihm eingeschärft, dass er unbedingt dieses Opfer bringen musste, bevor er Tamachoc anrief und um Erlaubnis bat, den Stein mitzunehmen. Die Fremde stand noch an der Treppe, völlig arglos, und wartete darauf, dass er ihr den Stein brachte. Aber das durfte er nicht, den Tod musste er ihr bringen. Ein gequältes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Hätten sie Zeit gehabt, hätte er immer noch versuchen können, ein Tier zu fangen. Aber jetzt waren die anderen Fremden unten in der Senke, vielleicht hatten sie sogar die Treppe schon gefunden. Es gab keinen anderen Weg. Er erhob sich leise – und erstarrte.
Mila wartete am Eingang. Das Rätsel war nicht schwer zu lösen gewesen. Dieser Indio schien nicht besonders klug zu sein, aber sie hatte immer noch den Eindruck, dass er etwas vor ihr verheimlichte. Er will den Stein für sich selbst, durchzuckte es sie plötzlich. Es war so offensichtlich. Warum sollte er sich sonst auf diesen weiten Weg gemacht haben? Vielleicht war er ein Späher jener Indios, die die Spanier angegriffen hatten. Die waren den Spaniern doch nicht gefolgt, sondern über die Berge gekommen. Dass sie das noch nicht früher durchschaut hatte, fand sie nun selbst erstaunlich. Er war ein Diener Atahualpas, also hatte er vielleicht den Auftrag, dem Inka diesen Stein zu bringen. Wenn der Azoth so viel Macht besaß, wie der Alchemist behauptete, dann war das nur einleuchtend.
Der Azoth konnte angeblich Blei in Gold verwandeln, und hatte der Inka den Spaniern nicht unermesslich viel Gold versprochen? Nun ergab alles einen Sinn. Aber wenn der Indio den Stein für sich selbst haben wollte, dann würde er ihn ihr kaum freiwillig überlassen. Nabu hatte Unrecht – sie war an der Seite dieses Läufers keineswegs sicher. Nabu – er lag irgendwo da draußen und hatte versucht, die Spanier aufzuhalten. Es war ihm offensichtlich nicht gelungen, aber Mila weigerte sich, darüber nachzudenken, was das heißen könnte. Der Indio. Sie sammelte sich. Er war die nächste Gefahr, die es zu überwinden galt. Mit der Hand tastete sie vorsichtig nach der Mitte ihres Stabes. Er würde es nicht hören, wenn sie jetzt die Klingen herausspringen ließ. Aber er hatte ihr geholfen, sie gerettet, da konnte sie ihn doch nicht einfach kalten Herzens umbringen! Sie stand da und wartete, ob er denn endlich etwas finden würde. Da roch sie plötzlich einen schwachen, unangenehmen Geruch, der die Treppe herabwehte. Er wurde stärker: Schwefel – es roch nach Schwefel! Mila ließ die Klinge aus dem Stab schnellen und fuhr herum.
Der Kuka Machu hatte sie gefunden! Er kam die Treppe herab und hielt eine blitzende Klinge in der Faust. Kemaq rief der Fremden eine Warnung zu, aber das Brausen des Wasserfalls übertönte sie. Dennoch wirbelte sie plötzlich herum und stieß ihren Stab zur Abwehr vor. Keinen Augenblick zu früh, denn der Kuka Machu hatte schon sein Schwert gehoben und ließ es niedersausen. Sie sprang zurück, ließ ihren Stab kreisen und zwang ihren Gegner, sich erst einmal zurückzuziehen. Aber sie war doch blind! Hören konnte sie ihren Feind unter dem Donnern des Wassers sicher nicht. Das konnte nicht gut gehen. Kemaq sah gebannt zu. Der Tisch mit dem Opfermesser war in der Mitte des Raumes. Wenn er schnell war … aber jetzt war der Kuka Machu dicht beim Tisch. Er griff die Fremde an. Der Mann stach zu, und erst im allerletzten Augenblick sprang die
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