Dracula, my love
linke Füße. Wie schön wäre es, überlegte ich, zumindest manchmal wieder frei zu sein, auch nur ein, zwei Stunden die Erlaubnis zu haben, mit jedem Mann, der mir gefiel, zu sprechen ... und zu tanzen. Diese ketzerischen Gedanken trieben mir die flammende Röte auf die Wangen. Wie unwürdig!
In diesem Augenblick fiel mein Blick auf eine Gestalt am anderen Ende des belebten Raumes. Ich rang erschrocken nach Luft. Es war der hoch aufgeschossene, attraktive Herr, den ich auf dem Friedhof kennengelernt hatte! Er stand am Rande der Tanzfläche und trug wie zuvor seinen elegant geschneiderten Gehrock. Und er schaute unverwandt ... auf mich. Selbst aus dieser Entfernung spürte ich die Hitze seines durchdringenden Blicks, der sich starr in meine Augen bohrte, als sei ich neben ihm die einzige andere Person im Raum.
Er kam unverzüglich in meine Richtung geschritten. Mein Herz begann wild zu pochen. Ich hatte Lucy noch mit keinem Wort von ihm erzählt. Doch nun hatte ich keine Wahl mehr.
„Lucy“, sagte ich rasch, „ich habe neulich einen Herren kennengelernt.“
„Was?“
„Ich habe einen Mann kennengelernt, als ich auf der Klippe spazieren ging, einen sehr netten Mann.“
„Du hast einen Mann kennengelernt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Wer ist es? Wie heißt er?“
„Ich weiß es nicht. Aber es sieht ganz so aus, als käme er gerade quer durch den Raum auf uns zu, um mit uns zu reden.“
Lucy folgte meinem Blick. „Ist er das? Der gutaussehende, schwarzhaarige Herr?“, murmelte sie, atemlos vor Staunen.
Ich nickte stumm. Ich hatte ihn seit drei Tagen nicht gesehen, und er war - wenn möglich - noch attraktiver als in meiner Erinnerung.
Plötzlich huschte ein seltsamer Ausdruck über Lucys Antlitz, und sie wurde einen Augenblick ganz ruhig und sah ihn unverwandt an, als er mit entschlossenen Schritten durch die Menge auf uns zukam. „Ich frage mich, ob ich ihn schon mal in der Stadt gesehen habe? Er ...“ Dann schüttelte sie mit einem verwirrten Kichern den Kopf und murmelte leise: „Nein. Dieses Gesicht hätte ich nicht vergessen. Er sieht einfach phantastisch aus!“
Der Herr blieb vor uns stehen, zog seinen Hut und verneigte sich, wobei seine Augen keine Sekunde von meinem Gesicht wichen. „Guten Abend, meine Damen.“
Als sie die tiefe Stimme des Mannes und den leichten ausländischen Akzent vernahm, fuhr Lucy zusammen und blickte ihn beinahe erschrocken an. Ich schaute neugierig zu ihr hin. Was hatte diese Reaktion zu bedeuten? Der Herr seinerseits schien Lucys Gegenwart kaum zu bemerken, so sehr war seine Aufmerksamkeit auf mich konzentriert.
„Guten Abend, Sir“, antwortete ich und gab mir größte Mühe, meine Stimme zu beherrschen, obwohl mir das Herz in der Kehle hämmerte. „Wie schön, Sie wiederzusehen.“
„Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen erneut zu begegnen, Fräulein Murray. Sie sehen heute Abend sehr schön aus. Das ist ein entzückendes Kleid.“
„Vielen Dank, Sir.“ Ich spürte, wie mir unter seiner Bewunderung die Wärme in die Wangen stieg. Gewöhnlich waren derlei Blicke nur auf Lucy gerichtet, nicht auf mich.
„Die Kleider, die die Damen hier am Abend tragen, ziehe ich bei weitem der neuen Mode für den Tag vor. Sie wirkt so zugeknöpft“, er machte eine Handbewegung zum Hals, „mit dem Kragen bis hier oben.“
Ich lachte. „Diese Mode ist nicht sehr neu, Sir. Aber ich stimme Ihnen zu. Sie kann einen manchmal ein wenig ersticken, besonders in der Hitze des Sommers.“
Nun schaute er Lucy an und warf dann einen fragenden Blick in meine Richtung. Ich fügte hinzu: „Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Sir. Ich würde Sie gern meiner Freundin vorstellen, kenne aber Ihren Namen nicht.“
„Wirklich? Bitte vergeben Sie mir. Das war sehr nachlässig von mir. Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Maximilian Wagner aus Salzburg.“ Er verneigte sich erneut und streckte mir seine Hand entgegen.
Seine Berührung ließ mir Schauer über den Rücken laufen. Wie zuvor fühlten sich seine Finger durch die Glacehandschuhe hindurch seltsam kühl an. „Angenehm, Herr Wagner. Darf ich Ihnen meine liebste Freundin, Fräulein Westenra, vorstellen?“
„Fräulein Westenra. Fräulein Murray hat mir von Ihnen erzählt. Ich bin hocherfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Lucy schien sich nun einen kleinen Ruck zu geben. Sie erwiderte sein Lächeln und legte ihre behandschuhte Hand in die seine. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Sir.“
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