Dracula, my love
Westklippe hinüber, wo sich jeden Abend eine große Menge fröhlicher Sommergäste zusammenfand, um die Promenadenkonzerte zu genießen und zu tanzen. Ich trug mein Abendkleid aus mitternachtsblauer Seide, und Lucy sah in ihrem mit Perlen besetzten rosa Satingewand strahlend schön aus. Die blonden Locken rahmten ihr hübsches Gesicht ein, und sie hatte ihr schwarzes Samtband um den schneeweißen Hals geschlungen.
Wir waren bereits an drei Abenden zuvor zum Pavillon hinausgegangen. Jedes Mal hatten uns die Musik und der Wirbel der Tänzer begeistert, die wir von unserem Aussichtspunkt vor dem hell erleuchteten Pavillon beobachten konnten.
An jenem Tag war gerade die Dunkelheit hereingebrochen, als wir unseren üblichen Platz auf der Terrasse einnahmen und in der Nähe einer der vielen hohen Eingangtüren des Pavillons standen. Ich hatte mir oft überlegt, wie unlogisch es doch ist, dass unsere starre Etikette, die Männern und Frauen nicht einmal gestattet, einander in der Öffentlichkeit auch nur zu berühren, das Tanzen für völlig respektabel hält. Mehr noch, seit langem schon war der Tanz ein akzeptiertes Ritual der Brautwerbung. Selbst der Walzer, der den Partnern gestattete, einander eng umschlungen zu halten, war außerordentlich beliebt. Ich tanzte für mein Leben gern, doch ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden, während dieser Saison lediglich als Beobachterin am Rande der Tanzfläche zu stehen.
Ich lauschte lächelnd, während die Musik in die warme Nachtluft hinauswehte. Lucy wippte ständig mit dem Fuß und schob sich immer näher an die Tür, bis wir schon beinahe im Inneren des Pavillons standen.
„Lucy“, ermahnte ich sie und versuchte sie zurückzuziehen, „komm hier weg.“
„Nein.“ Sie entzog mir ihre Hand. „Ich bin es müde, immer draußen zu stehen. Oh! Wie wunderschön die Tänzer aussehen, nicht wahr?“
Zwei junge Herren, die uns hereinkommen sehen hatten, verließen die Gruppe, mir der sie zusammenstanden, und kamen zu uns herüber. Sie hatten beide nur Augen für Lucy.
„Ich glaube, Sie sind noch nie hier gewesen, verehrtes Fräulein“, sagte der erste junge Mann und lächelte Lucy begeistert zu.
„Möchten Sie gern tanzen?“, fragte der zweite Herr rasch, sehr zum Ärger des ersten.
Lucy strahlte. Ich spürte, dass sie vorhatte, mit Ja zu antworten und warf dazwischen: „Vielen herzlichen Dank, Sir, aber ich fürchte, dass meine Freundin Ihr Angebot ablehnen muss, da sie verlobt ist. Wir sind beide verlobt.“
Die beiden jungen Männer runzelten die Stirn und verneigten sich, entschuldigten sich und entschwanden eilig.
„Oh!“, rief Lucy mit einem ärgerlichen und betrübten Seufzer, während sie den beiden hinterherschaute. „Musstest du das sagen?“
„Natürlich musste ich das.“
„Aber warum? Tanzen ist doch eine völlig respektable Beschäftigung! Du und ich, wir haben jeden Sommer und in jedem Seebad, das wir besuchten, getanzt, bis unsere Füße wund waren!“
„Ja, aber das war früher. Wenn ich es ihnen nicht gesagt hätte, Lucy, hätte das bei ihnen ungerechtfertigte Erwartungen geweckt. Ehe du dich versiehst, bieten dir die jungen Herren an, dir etwas zu trinken zu holen, und wollen mit dir spazieren gehen.“
„Nun, dann hätte ich es ihnen eben dann erklärt. Du hältst mich wahrscheinlich für schrecklich kokett, Mina. Doch dies ist meine letzte Gelegenheit! Nach diesem Sommer bin ich alt und verheiratet und habe einen soliden Hausstand gegründet. Danach werde ich nie wieder mit Scharen von Verehrern in einem sommerlichen Pavillon tanzen können. Oh, wie gern würde ich heute tanzen! Die Musik ist so wunderbar, und ich kann die Füße kaum stillhalten.“
„Arthur ist jetzt der einzige Mann, mit dem du tanzen solltest. Und ich sollte mit niemandem außer Jonathan tanzen.“
„Aber Arthur und Jonathan sind nicht hier! Oh! Ich liebe Arthur wirklich. Ich weiß nicht, womit ich ihn verdient habe. Aber es ist so ungerecht! Wie schrecklich langweilig ist es doch, verlobt zu sein, wenn der Bräutigam nicht anwesend ist. Da könnte ich genauso gut in einem Kloster leben. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre wieder frei!“
Ich wollte Lucy gerade für diesen Gefühlsausbruch tadeln, als mich plötzlich eine schockierende Erkenntnis beschlich. Ich merkte nämlich, dass ich ihr innerlich zustimmte. Selbst wenn Jonathan hier gewesen wäre, so war er doch ein wenig schüchtern, wenn es ums Tanzen ging, und behauptete stets, er hätte zwei
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