Dracyr – Das Herz der Schatten
Dienern ging das Fieber um, und die wenigen, die davon verschont blieben, mussten doppelte und dreifache Schichten schieben, damit die nötigen Arbeiten erledigt wurden. Kay war erschöpft wie noch nie, aber sie frohlockte, denn auf diese Weise gelangte sie in Bereiche der Burg, die sie sonst wahrscheinlich nie hätte betreten dürfenâ und zweimal wurde sie sogar für einen Teil der Nachtschicht eingeteilt. Aber all das half ihr nicht dabei, ihrem Ziel auch nur einen Schritt näher zu kommen.
Die Unterrichtsräume der Zöglinge, ihre Kammern und der Aufenthaltsraum wurden jetzt aufgeräumt und gesäubert, auch wenn sich jemand darin aufhielt. Das brachte für die Kammermädchen einiges an scharfen Worten, Spott und Schikane und auch Zudringlichkeiten mit sich. Kay gewöhnte sich daran, bei allem Respekt auf grabschende Finger zu klapsen und dabei so zu tun, als wäre nichts geschehen, und ansonsten einfach nicht hinzuhören, wenn hämische Bemerkungen in ihre Richtung abgeschossen wurden.
Eines Morgens fegte und wischte sie den kleineren der drei Unterrichtsräume, während die puppengesichtige, blonde Esbeth mit Corena und dem spitznasigen Evan in ein Gespräch vertieft am Fenster stand. Sie hatten Kay einen abweisenden Blick zugeworfen, als sie hereinkamen, aber Kay hatte nur höflich gegrüÃt und die unausgesprochene Aufforderung ignoriert.
Die drei unterhielten sich im Flüsterton, nur gelegentlich konnte Kay den einen oder anderen Satz verstehen, wenn die Diskussion hitziger und damit lauter wurde. » Tyron denkt, dass Crawford von den Rebellen verfolgt und abgeschossen worden ist « , hörte sie Corena sagen, deren Stimme erstickt klang, als würde sie weinen. Kay, die das Wort » Rebellen « aufhorchen lieÃ, warf ihr einen beiläufigen Blick zu, während sie die Zimmerecke wischte, aber die Augen der Rothaarigen waren trocken, wenn auch gerötet.
» Das ist dummes Zeug. Dazu hätten sie ja selbst⦠« Der Rest des Satzes, den Evan mit lauter Stimme begonnen hatte, versiegte nach einem Rippenstoà Esbeths in unverständlichem Gemurmel. Wieder fand ein hitziger und doch geflüsterter Disput statt. Dann hörte Kay etwas, das sie auffahren lieÃ: » Er hätte nicht versuchen dürfen, Gormandel im Alleingang zu brechen « , sagte Evan. » Sie war zu stark für ihn und er zu ungeduldig. «
Corena zischte, damit er seine Stimme senkte, und warf Kay einen Blick zu. Ihre Augen trafen sich. Kay blinzelte und drehte sich hastig weg. Gormandel. Was hatte das zu bedeuten? Sie wischte mechanisch über immer die gleiche Stelle und kaute auf ihrer Unterlippe. Wer oder was war Gormandel?
» Wer wird Crawford ersetzen? « , hörte sie Esbeth fragen. Sie hatte eine hohe, ein wenig schrille Stimme, die selbst als Flüstern noch deutlich zu verstehen war. » Wir sind jetzt nur noch acht, zu wenige, um den groÃen Kreis zu formieren. Und der Kemmer ist bald so weit, dass ihn jemand⦠«
Zu Kays Enttäuschung unterbrach sie sich, weil die Tür aufging. » Oh, Damian « , rief Esbeth aus, » Du weiÃt doch bestimmt⦠« Sie wurde mit einem scharfen Zischen zur Ruhe gebracht. Alle schwiegen, und Kay spürte, dass ihre Blicke sie zu durchbohren versuchten. Sie hielt den Kopf gesenkt, um dem Eintretenden nicht ins Gesicht blicken zu müssen, und wienerte verbissen an den Messinggriffen eines Schrankes herum.
Der junge Lord näherte sich ihr, ging dann aber achtlos an ihr vorbei. Seine dunkle Stimme gesellte sich zu dem wieder einsetzenden Gemurmel der anderen. Kay stieà den angehaltenen Atem aus.
» Gormandel ist abgestürzt. Ich glaube, dass sie sich freiwillig in den Tod gestürzt hat « , sagte Damian, ohne seine Stimme zu senken. Kay stieà einen erschreckten Laut aus, lieà ihr Poliertuch fallen, und als sie sich danach bücken wollte, stieà sie den Eimer mitsamt dem Putzzeug um. Es schepperte laut und eine Dose mit Politur rollte klappernd über den Boden auf die Gruppe am Fenster zu.
Kay stammelte eine Entschuldigung und sammelte hastig ihre Utensilien wieder ein. Sie stopfte alles zurück in den Eimer, griff seinen Henkel und wollte zur Tür hinaus flüchten, als jemand sie am Ellbogen zurückhielt. » Karolyn Donne « , sagte der junge Lord mit seidenweicher Stimme, » du lauschst? «
» Nein, Eure Lordschaft « , sagte sie und
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