Drahtzieher - Knobels siebter Fall
sich im Gehen umwandte und vergewisserte, dass ihm Marie und Stephan über den Plattenweg an der Seitenwand des Hofgebäudes folgten.
Liekes Wohnung bestand aus einer kleinen Diele, einem großen Wohnzimmer, durch das man in ihr Schlafzimmer gelangte, eine modern eingerichtete Küche und ein mit Mosaiken ausgelegtes Bad mit verspielten barocken Armaturen. Das Mobiliar spiegelte das Niveau der aufwendig renovierten und ausgestatteten Räume wider: Es waren durchweg hochwertige und wirkungsvoll positionierte Einzelstücke. Kein Raum wirkte überladen. Alles war liebevoll ausgesucht und arrangiert.
»Die Wohnung war Liekes ganzer Stolz«, erklärte ihr Schwager, während er auf einem Regal einen kleinen hölzernen Globus weiter in die Regalmitte verschob und dann Maries und Stephans Fragen erwartete.
»Ihre Frau sagt, bei dem Einbruch im März sei nichts gestohlen worden«, sagte Marie.
»Wir vermissen jedenfalls nichts. Wobei wir natürlich keinen Überblick über alle Dinge haben, die Lieke in der Wohnung verstaut hatte. Aber wie Sie sehen, hatte sich Lieke sehr übersichtlich eingerichtet. Sie hortete keine Sachen in Ecken oder Schubladen. Alles war ordentlich verstaut. Überflüssiges wurde entsorgt. Lieke pflegte in der Wohnung dieselbe Pedanterie und Reinlichkeit wie in ihrem Büro.«
»Können Sie sich vorstellen, was der Einbrecher gesucht haben könnte?«, fragte Stephan.
Hermann van Eyck schüttelte den Kopf.
»Ich kann dazu nichts sagen. Die Theorie meiner Frau kenne ich natürlich. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass der Einbruch etwas mit Liekes Tod zu tun hat. Wenn es irgendeinen Gegenstand oder Unterlagen gäbe, die mit ihrem Unfall in Zusammenhang stehen oder in gewisser Weise sogar ein Motiv für ihren Tod sein könnten, hätte der Täter sich diese Dinge doch schon vor dem Unfall beschaffen können. Denn das Haus war tagsüber oft verwaist, wenn Anne, Lieke und ich beruflich unterwegs waren. Meine Frau und ich arbeiten zwar häufig hier auf dem Hof, aber wir sind oft stundenlang zu Kundenbesuchen unterwegs. Und wenn der Täter nicht vor Liekes Tod hier im Haus war, warum wartete er dann nach dem Unfall einige Monate, bis er hier einbrach? Mir fällt es schwer, da einen Zusammenhang zu sehen. Aber ich denke, Sie werden sich auch mit dieser Frage auseinandersetzen.«
»Hatte Lieke irgendwelche Feinde – privat oder beruflich?«, fragte Marie.
»Eindeutig nein! Sie wurde allseits geschätzt und gemocht. – Guten Seelen wie Lieke tut keiner was an – aber sie werden meistens auch nicht im Herzen begehrt«, setzte er seufzend hinzu.
Hermann van Eyck stemmte die Hände in die Hüften.
»Gibt es noch irgendwas, was Sie sich noch näher ansehen wollen?«, fragte er. »Sie können hier jederzeit wieder hinein. Es ging mir nur darum, dass Sie einen ersten Eindruck gewinnen.«
Marie und Stephan schauten sich um und verneinten.
Sie verließen die Wohnung.
»Gehen Sie doch schon zurück in den Garten«, bat Herr van Eyck. »Ich möchte Ihnen noch Liekes Taschenkalender mitgeben, den wir in unserer Wohnung aufbewahren.«
Mit diesen Worten verschwand er um die Ecke. Marie und Stephan nahmen den Weg zurück in den Garten, wo Anne van Eyck gerade den Sonnenschirm einkurbelte. Auf dem Tisch standen jetzt Salatschüsseln und Körbe mit gebrochenem Brot.
Hermann van Eyck kehrte mit den angekündigten Strickjacken zurück, die er über den rechten Arm geworfen hatte. In der Hand hielt er einen schwarzen in Leder gefassten Taschenkalender. Er legte die Strickjacken ab und reichte Stephan das kleine Buch.
»Die Staatsanwaltschaft hat ihn bereits ausgewertet«, erläuterte er. »Lieke führte über die Termine praktisch doppelt Buch. Sie notierte alle Daten im Computer auf ihrem Arbeitsplatz und zugleich handschriftlich in ihrem Taschenkalender. Sie hatte stets die Sorge, dass die Termine verloren seien, wenn einmal der Computer abstürzte. Also trug sie alle Daten über anberaumte Konferenzen, sonstige Besprechungen, organisatorische Maßnahmen und vieles mehr sowohl hier als auch dort ein. Dieser kleine Kalender ist ein komplettes Duplikat der Eintragungen im Kalender ihres Bürocomputers. Die Kalender sind ein Spiegel aller Daten des letzten Jahres, die Lieke wichtig erschienen, jedenfalls der Daten, die sie bis zu ihrem Tod im September eintragen konnte. Das hat die Staatsanwaltschaft überprüft. Aber vielleicht ist der Taschenkalender für Sie von Interesse. – Passen Sie bitte darauf
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