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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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sein soll, Melchior, so habe ich nämlich tatsächlich das Gefühl, seit ich deinen Aufsatz gelesen. – In den ersten Feiertagen fiel er mir vor die Füße. Ich hatte den Plötz in der Hand. – Ich verriegelte die Tür und durchflog die flimmernden Zeilen, wie eine aufgeschreckte Eule einen brennenden Wald durchfliegt – ich glaube, ich habe das meiste mit geschlossenen Augen gelesen. Wie eine Reihe dunkler Erinnerungen klangen mir deine Auseinandersetzungen ins Ohr, wie ein Lied, das einer als Kind einst fröhlich vor sich hingesummt und das ihm, wie er eben im Sterben liegt, herzerschütternd aus dem Mund eines andern entgegentönt. – Am heftigsten zog mich in Mitleidenschaft, was du vom Mädchen schreibst. Ich werde die Eindrücke nicht mehr los. Glaub' mir, Melchior, Unrecht leiden zu müssen ist süßer denn Unrecht tun! Unverschuldet ein so süßes Unrecht über sich ergehen lassen zu müssen, scheint mir der Inbegriff aller irdischen Seligkeit.
    Melchior
    Ich will meine Seligkeit nicht als Almosen!
    Moritz
    Aber warum denn nicht?
    Melchior
    Ich will nichts, was ich mir nicht habe erkämpfen müssen!
    Moritz
    Ist dann das noch Genuß, Melchior? – Das Mädchen, Melchior, genießt wie die seligen Götter. Das Mädchen wehrt sich dank seiner Veranlagung. Es hält sich bis zum letzten Augenblick von jeder Bitternis frei, um mit einem Male alle Himmel über sich hereinbrechen zu sehen. Das Mädchen fürchtet die Hölle noch in dem Moment, da es ein erblühendes Paradies wahrnimmt. Sein Empfinden ist so frisch wie der Quell, der dem Fels entspringt. Das Mädchen ergreift einen Pokal, über den noch kein irdischer Hauch geweht, einen Nektarkelch, dessen Inhalt es, wie er flammt und flackert, hinunterschlingt… Die Befriedigung, die der Mann dabei findet, denke ich mir schal und abgestanden.
    Melchior
    Denke sie dir, wie du magst, aber behalte sie für dich. – Ich denke sie mir nicht gern…
Zweite Szene
    Wohnzimmer
    Frau Bergmann
den Hut auf, die Mantille um, einen Korb am Arm, mit strahlendem Gesicht durch die Mitteltür eintretend
    Wendla! – Wendla!
    Wendla
erscheint in Unterröckchen und Korsett in der Seitentüre rechts
    Was gibt's, Mutter?
    Frau Bergmann
    Du bist schon auf, Kind? – Sieh, das ist schön von dir!
    Wendla
    Du warst schon ausgegangen?
    Frau Bergmann
    Zieh dich nun nur flink an! – Du mußt gleich zu Ina hinunter, du mußt ihr den Korb da bringen!
    Wendla
sich während des Folgenden vollends ankleidend
    Du warst bei Ina? – Wie geht es Ina? – Will's noch immer nicht bessern?
    Frau Bergmann
    Denk dir, Wendla, diese Nacht war der Storch bei ihr und hat ihr einen kleinen Jungen gebracht.
    Wendla
    Einen Jungen? – Einen Jungen! – O das ist herrlich – Deshalb die langwierige Influenza!
    Frau Bergmann
    Einen prächtigen Jungen!
    Wendla
    Den muß ich sehen, Mutter! – So bin ich nun zum dritten Male Tante geworden – Tante von einem Mädchen und zwei Jungens!
    Frau Bergmann
    Und was für Jungens! – So geht's eben, wenn man so dicht beim Kirchendach wohnt! – Morgen sind's erst zwei Jahr, daß sie in ihrem Mullkleid die Stufen hinanstieg.
    Wendla
    Warst du dabei, als er ihn brachte?
    Frau Bergmann
    Er war eben wieder fortgezogen. – Willst du dir nicht eine Rose vorstecken?
    Wendla
    Warum kamst du nicht etwas früher hin, Mutter?
    Frau Bergmann
    Ich glaube aber beinahe, er hat dir auch etwas mitgebracht – eine Brosche oder was.
    Wendla
    Es ist wirklich schade!
    Frau Bergmann
    Ich sage dir ja, daß er dir eine Brosche mitgebracht hat!
    Wendla
    Ich habe Broschen genug…
    Frau Bergmann
    Dann sei auch zufrieden, Kind. Was willst du denn noch?
    Wendla
    Ich hätte so furchtbar gerne gewußt, ob er durchs Fenster oder durch den Schornstein geflogen kam.
    Frau Bergmann
    Da mußt du Ina fragen. Ha, das mußt du Ina fragen, liebes Herz! Ina sagt dir das ganz genau. Ina hat ja eine ganze halbe Stunde mit ihm gesprochen.
    Wendla
    Ich werde Ina fragen, wenn ich hinunterkomme.
    Frau Bergmann
    Aber ja nicht vergessen, du süßes Engelsgeschöpf! Es interessiert mich wirklich selbst, zu wissen, ob er durchs Fenster oder durch den Schornstein kam.
    Wendla
    Oder soll ich nicht lieber den Schornsteinfeger fragen? – Der Schornsteinfeger muß es doch am besten wissen, ob er durch den Schornstein fliegt oder nicht.
    Frau Bergmann
    Nicht den Schornsteinfeger, Kind; nicht den Schornsteinfeger. Was weiß der Schornsteinfeger vom Storch! – Der schwatzt dir allerhand dummes Zeug vor, an das er

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