Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
das Tür-Aufmachen ist ein Stück Normalität, das ich gerne wieder hätte. Ja, es fällt mir schwerer als sonst, die Tür selbst aufzumachen, aber ich schaffe es aus eigener Kraft.
Viel von meinem Stolz musste ich ablegen in den vergangenen Wochen. Musste lernen, Hilfe anzunehmen, auch aktiv um Hilfe zu bitten. Hilfe so abzulehnen, dass sich die zuvorkommenden Helfer nicht brüskiert fühlen, muss ich noch lernen. Wenn es überhaupt lernbar ist. »Nein danke, es geht schon« wird leider grundsätzlich nicht akzeptiert von demjenigen, der fest entschlossen ist, zu helfen. Manche Leute reißen mir sogar halb die Tasche und die Krücken weg, wenn ich irgendwo auftauche. Eine wildfremde Frau hat an der Haltestelle mit ihren Taschentuch einen Sitz für mich sauber gewischt, obwohl ich ihr mehrmals freundlich gesagt habe, dass das nicht nötig sei, weil ich mich garantiert nicht setzen wolle und würde. Sie war dann beleidigt, als ich es wirklich nicht tat. Eine Ablehnung von gut gemeinter und entschlossen begonnener Hilfe ist kaum möglich, ohne den Helfer massiv zu beleidigen. Dabei sind wir Deutschen ohnehin Weltmeister der klaren Worte. Die Vokabel »Nein« gehört zu unserem Standardrepertoire. Doch wenn ich sage: »Nein, bitte nicht! Bitte lass es. Das ist nicht nötig«, wird es überhört. Fast fühle ich mich wie in Arabien, wo ein Nein zu einer guten Tat oder einer Extraportion Essen ebenfalls nicht akzeptiert, sondern als angemessene Bescheidenheit und daher als Aufforderung zu noch mehr Hilfe interpertiert wird.
Wer sich einmal zur Hilfsbereitschaft entschlossen hat, ist nicht zu bremsen. Manchmal möchte ich einfach losschreien: »Lass mich in Ruhe! Ich kann das selbst! Kümmer dich doch um deinen eigenen Kram! Geh weg!« Aber das wäre unangebracht, weil die Menschen mir ja etwas Gutes tun wollen, das ihnen ja auch keine Umstände macht, und weil ich für das Angebot eigentlich dankbar sein sollte. Mir aber macht es Umstände, weil ich mich sogar schuldig fühle, wenn jemand sich mit etwas abplagt, das ich gar nicht will, brauche und schätze. Weil ich mich klein fühle, wenn meine Grenzen überschritten, meine Wünsche nicht respektiert werden. Weil meine Autonomie darunter leidet, dass ständig von Wohlmeinenden auf ihr herumgetrampelt wird. Weil aus Aufmerksamkeit Aufdringlichkeit wird.
Der Spruch »Da werden Sie geholfen« fälllt mir ein und ich finde ihn nicht witzig. Geholfen zu werden macht einen unnötig klein und schwach. Für die Zukunft nehme ich mir vor, Ablehnung von Hilfe unbedingt und sofort zu akzeptieren. Wer Hilfe ablehnt, zieht damit eine Grenze, um den eigenen Stolz zu schützen. Die explizite Ablehnung von Hilfe geschieht nicht aus Höflichkeit anderen gegenüber oder weil man altruistisch genug ist, andern keine Umstände mit sich selbst machen zu wollen. Die explizite Ablehnung von Hilfe ist etwas Egoistisches, sie geschieht aus Selbstschutz und Selbsterhaltungtrieb. Sie nimmt in Kauf, dass der andere beleidigt sein könnte, aber manchmal ist ein Mensch es sich selbst schuldig, dass er andere zurückstößt, um sich selbst zu schützen. Er müsste es nicht tun, wenn er auch so respektiert würde. Ich nehme mir vor, noch mehr drauf zu achten, Behinderte nicht als hilfsbedürftige Wesen wahrzunehmen, sondern als selbstbewusste Menschen, die ihre Bedürfnisse kennen und äußern können – auch in der Ablehnung.
Vor meiner Haustür wird ein temporäres Halteverbot eingerichtet. Umzug. Leider nur mit drei Tagen Vorwarnung und genau da, wo mein Auto parkt. Doch wie Umparken, mit meinem Walker? Ich gehe im Handy die Liste derer durch, die helfen könnten. Viele sind im Urlaub. Inneres Lamentieren. Dann schlägt im Lauf des Nachmittags das Wetter von Sommer auf Herbst um. Blätter wirbeln herum, es gießt. Schon wieder Taxifahren, weil ich nicht will, dass sich die Innenpolster des Walker mit Regenwasser vollsaugen. Inneres Lamentieren. Eine befreunde Kollegin aus meinem Projekt löst die Situtation: Sie fährt mich nach Hause und parkt das Auto um. Obwohl sie selbst einen sehr weiten Heimweg hat und in die andere Richtung muss. Ich bin ihr aufrichtig dankbar.
Die Physiotherapiepraxis ist schick wie ein Day-Spa. Was für ein Glücksgriff. Sie scheint nicht unbedingt auf Kassenpatienten ausgerichtet. Die Therapeutin ist wenig begeistert von Kassenrezepten, weil die Zeit viel zu kurz sei. Am Empfang sagt man mir, es gäbe die Möglichkeit, die Therapie auf eigene Kosten zu verlängern.
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