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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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ab und chauffiert mich mit einem dieser putzigen Elektromobile durch den Flughafen. Mit denen wollte ich schon immer mal fahren. Dann geht die Mühsal erst los. Zum angeblich behindertengerechten Hotel führen mehrere Stufen hinauf. Ein Rollstuhlfahrer hätte keine Chance. Die nächste U-Bahnstation ist einen halben Kilometer entfernt. Kopfsteinpflaster, wohin man schaut. Sommerhitze. Taxipreise, bei denen sogar ich passen muss. Ich erfinde innerlich die neue Sportart »Auf-Krücken-Dahinlatschen« und bilde mir ein, damit die Extraportionen Mohrenköpfe und Lakritzkonfekt abzutrainieren, und dass extrem langsames Gehen dazu beiträgt, eine Stadt noch besser kennenzulernen, und einen zwingt, noch mehr auf die kleinen Dinge des Lebens zu achten, was das Ergebnis der Recherche nur verbessern kann.
    Erste Erkenntnis: In Kopenhagen ist mehr angetrocknetes Erbrochenes auf der Straße als in München oder Neapel. Dafür liegt in München mehr herrenloses Kleingeld herum. Wer auf Krücken über unebenes Pflaster geht, blickt ständig nach unten, lernt die Welt aus der Pflasterperspektive kennen. In Neapel war weder Geld noch Kotze auf der Straße, dafür eine kleine Silberbrosche mit einem Halbedelstein. Die habe ich als Glücksbringer behalten.
    Für dauerhaft Gehbehinderte muss die Altstadt von Kopenhagen ein seltenes Ziel sein. So viel Kleinstein- und Kopfsteinpflaster, so viele Kanten, Schrägen und Steigungen. Ich fluche nicht, sondern versuche, zu genießen, weil ich Kopenhagen liebe, muss aber aufgeben. Die Altstadt ist für mich trotz Walker und zwei Krücken nahezu nicht zu begehen. Einige Geschäfte, weil in der Fußgängerzone, bleiben unerreichbar. Ich verstehe jetzt die Behindertenbeiräte, die stets davon abraten, neue Fußgängerzonen einzurichten, und auf Schneisen aus glattem Pflaster bestehen. Die klagen, dass zu viel unebenes Steinpflaster verlegt wird, auch vor Konzertsälen, die somit für stark gehbehinderte Menschen nicht erreichbar sind. Ich verstehe aber nicht das Argument, man könne niemanden, der gerade noch so auf zwei Krücken gehen kann, in den Rollstuhl zwingen, indem man ihm weite Wege und fieses Pflaster zumutet. Einen Rollstuhl mit Elektromotor oder jemanden, der den Rollstuhl schiebt, fände ich jetzt wirklich praktisch und würde ich auch liebend gerne benutzen. Wenn ich jemanden hätte, der ihn schiebt. Ich träume von Butlern und Zivis.
    Klar gibt es in Kopenhagen auch die viel geforderten erschütterungsarmen Gehschneisen mit glatten Pflaster und sogar Leitlinien für Sehbehinderte. Diese werden mir aber fast zum Verhängnis, weil sie manchmal aus Metallstücken bestehen, die ausgerechnet auf das glatte Pflaster genagelt sind und so für meine Krücken zu zusätzlichen Stolper- und Rutschfallen werden. Andererseits fahren in die Fußgängerzone wenigstens keine verrückten Radler. Man kann es auch unter Behinderten einfach nicht allen recht machen.
    Die großen Museen in Kopenhagen geben sich alle als behindertengerecht aus. Auf Websites und in Reiseführern. Der Teufel steckt wie immer im Detail. Der Platz vor Thorvaldsens Museum ist mit Kleinsteinpflaster belegt, meinem neuen Feind. Ins Gebäude führen Stufen hinauf, das historische Portal ist schwer zu öffnen. Drinnen bietet man mir einen Rollstuhl an und alles ist fein. Die Toilette ist aber im Keller, am Ende eines langen Ganges. Es gibt in dem historischen Gebäude keinen Lift. Nach dem Treppenkampf zur Toilette spare ich mir den Aufstieg zu den Galerien im ersten Stock. Interessiert hätten sie mich schon.
    Das Nationalmuseum hat eine eigens nach ihm benannte Bushaltestelle, die auch genau vor dem Gebäude ist. Der Eingang ist aber an der entgegengesetzten Seite, ein paar Hundert Meter zu gehen. Dort endlich angekommen rät mir die Museumswärterin, keinen der angebotenen Rollstühle zu nehmen. Ohne Begleitung könne ich die Rampen nicht bewältigen und die schweren Glastüren auch nicht öffnen. Sie hat recht. Immerhin gibt es im Haus einen Aufzug. Und eine Behindertentoilette. Die habe ich inzwischen schätzen gelernt, auch als Nicht-Rollstuhlfahrerin, denn mit zwei Krücken und dem Walker ist es schwer, in einer normalen kleinen Toilettenkabine zu manövrieren. Früher bin ich gerne auf Behindertentoiletten gegangen, weil man dort nicht anstehen muss, jetzt benutze ich sie aus Notwendigkeit und lerne, dass es schon seinen Sinn hat, sie für Behinderte zu reservieren.
    Flaschensammlerinnen sprechen mich an. Und wünschen

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