Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Lodge« und Vorträge zu den Themen »Führen mit natürlicher Autorität«, »Motivation: Endlich Montag!« und »Zufrieden ist nicht genug«. Und im Hotel Falkenstein Grand Kempinski steigt ein »Whisky-Dinner: Bowmore & Auchentoshan mit 5-Gang-Menü von Oliver Heberlein «.
Königstein ist etwas städtischer als Kronberg. Es lässt sich leichter durchschauen. Hier ist Platz für zwei Kempinski-Hotels. Hier sitzen die Juweliere. Hier wurde 1947 die Junge Union gegründet. Hier hat die FDP bei den Kommunalwahlen im März mehr Stimmen bekommen als die SPD. Hier stehen Deutschlands erste Migräneklinik, die psychiatrische Privatklinik Dr. Amelung und ein Spezialkrankenhaus für Herz- und Gefäßkrankheiten. An jedem zehnten Haus, so kommt es uns vor, hängen Schilder von Heilpraktikern, Physiotherapeuten und Psychologen.
Wir wollen es den Menschen dieses Mal leichter machen: Ab sofort ist Viola auch noch schwanger. Hin und wieder werden wir das beiläufig erwähnen. In der Villa Rothschild Kempinski – laut Bronzetafel am Portal eines der »Leading Hotels of the World« – tagen heute Manager der amerikanischen JP-Morgan-Bank. Als habe ein Konditor es drapiert, steht das spitzgiebelige Schlösschen auf der Kuppe eines großen Parks. Vor der Tür parkt ein Maybach, Einstiegspreis 400.000 Euro. Das Hotel ist einer von vielen geschichtsträchtigen Bauten in der Gegend: Der Bankiersfamilie Rothschild diente es als Sommerresidenz, ehe sie 1938 vor den Nazis in die Schweiz floh. Zehn Jahre später beriet der Parlamentarische Rat hier über das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Jetzt klöppelt Regen aufs Dach.
Als wir auf einem tiefen roten Teppich in die Lobby treten, ist Gelächter zu hören. Männerstimmen. Mächtigenstimmen. An der Wand ein Gemälde, das an den Parlamentarischen Rat erinnert, veredelt mit dem Satz: »Alle Menschen sind gleich«.
Plötzlich steht eine Mitarbeiterin des Hotels vor uns, ebenso erschrocken wie wir. Händeringend fragt sie: »Wie kann ich helfen?« Wir erzählen ihr unsere Geschichte und bedauern sie sogleich. Das ist das unauflösbare Dilemma unserer Recherche: Ausgerechnet jene, die sich auf uns einlassen, drohen in einen Strudel von Solidaritäten zu geraten. Hastig sagt die junge Frau: »Kommen Sie erst mal den Flur runter – hier wurde schon gefragt, was Sie wollen.« Als sie uns durch einen verwinkelten Gang aus den Augen ihrer Gäste schiebt, fällt uns auf: Lange her, dass wir gesiezt wurden. Aus unserem Versteck heraus hören wir, wie sie die Hotels der Stadt durchtelefoniert, Preise verhandelt. Sie fragt auch einen Vorgesetzten, was ein Tageszimmer koste, zum Ausruhen und Aufwärmen. Unter 115 Euro sei leider nichts zu machen, sagt sie, »und Sie müssen noch weiter um die Ecke. Wenn Sie hier gesehen werden, krieg ich Ärger.«
Noch einmal läuft sie in Richtung der Männerstimmen, scheint wieder Rücksprache zu halten und kommt dann mit Frühstücksresten in Alufolie und Tee in Pappbechern zurück. Sie öffnet eine Notausgangstür und flüstert uns ein »Alles Gute« hinterher. Wenn wir in dieser Geschichte Maria und Josef gewesen sein sollten, dann war diese junge Frau der erste Engel.
Es gibt eine Straße in Königstein, die ist nicht nur steil und lang, sondern auch legendär – der Ölmühlweg, auf dem sich Commerzbank-Vorstand Martin Blessing als Kind seine »Harry-Potter-Narbe« auf der »hohen Stirn« zugezogen hat, wie das manager magazin einmal beschrieb: »Folge eines Nervenkitzels, den der Zehnjährige ausreizte: Auf dem Fahrrad den heimischen Ölmühlweg in Königstein heruntergerast, Tempo, Tempo. Nicht rechtzeitig gebremst. Ein übler Sturz, Hals über Bordsteinkante, bis schließlich der Kopf am Laternenpfahl landete.«
Erstaunlich, wie klein die Welt auch in Zeiten der Globalisierung sein kann: Am oberen Ende des Ölmühlwegs, am Rande des Kinderkosmos von Martin Blessing – dessen Großvater Bundesbankpräsident war und dessen Vater dem Vorstand der Deutschen Bank angehörte – steht heute das Kommunikations- und Trainingscenter Königstein, 1971 als Schulungszentrum der Dresdner Bank eröffnet und jetzt im Besitz der Commerzbank. Ob von 218 Zimmern eins frei sein wird?
Auf unserem Weg hinauf sammeln wir mikroökonomische Erfahrung: Mit jedem Höhenmeter steigen die Immobilienpreise – und sinkt das Einfühlungsvermögen, vor 2000 Jahren noch »Erbarmen« genannt.
»Wir sind obdachlos und wollten fragen …«
»… gegenüber ist ein
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