Drei Dichter ihres Lebens
Lockspitzels und betulichen Spiönchens, das für ein paar Goldstücke fremde Menschen in dieselben Gefängnisse bringt, die er selbst in seiner Jugend gekannt und deren Schilderung ihn berühmt gemacht. Ja, aus dem schabrackenhaft aufgeputzten Chevalier de Seingalt, dem Liebling der Frauen, aus Casanova, dem funkelnden Verführer, ist Angelo Pratolini geworden, der nackte niedrige Angeber und Schuft; die einst diamantberingten Hände wühlen in schmutzigen Geschäften und spritzen Tintengift und -galle nach rechts und links, bis sogar Venedig sich des quengelnden Querulanten mit einem Fußtritt entledigt. Die Nachrichten schweigen über die nächsten Jahre, und niemand weiß, auf welchen traurigen Wegendann noch das halb kaputte Wrack gefahren ist, ehe es endgültig in Böhmen scheitert; man weiß nur, noch einmal zigeunert der alte Abenteurer durch Europa, balzt vor den Aristokraten, scharwenzelt um die Reichen, versucht seine alten Künste: Falschspiel, Kabbala und Kuppelei. Aber die fördernden Götter seiner Jugend, Frechheit und Zuversicht, haben ihn verlassen, die Frauen lachen ihm höhnisch in die Runzeln hinein, er bringt es nicht mehr hoch, er fristet und frettet sich mühsam durch, Sekretär (und wahrscheinlich wieder Spion) beim Gesandten in Wien, kläglicher Skribler, unnützer, unerwünschter und von der Polizei immer bald wieder hinauskomplimentierter Gast aller europäischen Städte. In Wien will er schließlich eine Grabennymphe heiraten, um durch ihren einträglichen Beruf einigermaßen gesichert zu sein; auch dies mißlingt ihm. Schließlich liest der steinreiche Graf Waldstein, ein Adept in den geheimen Wissenschaften, den
»poète errant de rivage en rivage
Triste jouet des flots et rebut de naufrage«
an einer Tafel in Paris, wo er sich einschmarotzt hat, mitleidig auf, findet Spaß an dem gesprächigen, abgetakelten, aber immer noch amüsanten Zyniker und nimmt ihn Gnaden halber als Bibliothekar, alias Hofnarr, nach Dux mit; tausend Gulden Jahresgehalt, freilich immer schon von den Gläubigern vorgepfändet, kaufen dies Kuriosum, ohne es zu überzahlen. Und dort in Dux lebt oder, besser gesagt, stirbt er dreizehn Jahre lang.
In Dux taucht plötzlich seine Gestalt aus jahrelanger Verschattung, Casanova oder vielmehr etwas, was an Casanova vage erinnert, seine Mumie, eingetrocknet, dürr, spitz, nur durch die eigene Galle noch konserviert, ein sonderbares Museumsstück, das der Herr Graf gern seinen Gästen präsentiert. Ein ausgebrannter Krater, meinen sie, ein amüsantes, ungefährliches, durch seine südländische Cholerik possierliches Männchen, das in dem böhmischen Vogelbauer langsam an Langeweile zugrunde geht. Aber noch einmal narrt der alte Betrüger die Welt. Denn während sie alle schon glauben, er sei abgetan und bloß Anwärter auf Kirchhof und Sarg, baut er aus Erinnerung noch einmal sein Leben und abenteuert sich listig hinein in die Unsterblichkeit.
Bildnis des alten Casanova
Altera nunc rerum facies, me quaero, nec adsum,
Non sum, qui fueram, non putor esse: fui. Unterschrift seines Altersbildnisses
1797, 1798 – der blutige Besen der Revolution hat Kehraus gemacht mit dem galanten Jahrhundert, die Köpfe des Allerchristlichsten Königs und der Königin liegen im Korb der Guillotine, und zehn Dutzend Fürsten und Fürstlein, mitsamt den venezianischen Herren Inquisitoren, hat ein kleiner korsischer General zum Teufel gejagt. Man liest nicht mehr die Enzyklopädie, Voltaire und Rousseau, sondern die hartgehämmerten Bulletins vom Kriegsschauplatz. Aschermittwoch staubt über Europa, die Karnevale sind zu Ende und das Rokoko, es ist vorbei mit den Reifröcken und gepuderten Perücken
, den silbernen Schuhschnallen und Brüsseler Spitzen. Man trägt keine Samtröcke mehr, nur Uniform oder Bürgergewand.
Aber sonderbar, da hat einer die Zeit vergessen, ein uraltes Männchen ganz droben in Böhmens dunkelstem Winkel: wie der Herr Ritter Gluck in E. T. A. Hoffmanns Legende stapft dort am hellichten Tag ein farbiges Vogelmännchen mit Samtweste, vergoldeten Knöpfen, verschlissenem gelbem Spitzenkragen, seidenen Zwickelstrümpfen, geblümten Strumpfbändern und weißem Galafederhut vom Schloß Dux das buckelige Katzenpflaster hinab in die Stadt. Noch trägt das Kuriosum den Haarbeutel nach alter Sitte, schlecht gepudert zwar (man hat keine Bedienten mehr!), und die zittrige Hand stützt sich pompös auf einen altmodischen Rohrstock mit Goldspitze, wie man sie im
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