Drei Dichter ihres Lebens
die tausendunddrei, die seinem berechnenden Drängen nachgegeben, bleiben für immer seelisch vergiftet in ihrer Weiblichkeit. Die Frauen hingegen, die Casanova sich hingegeben haben, danken ihm wie einem Gott, denn nicht nur nichts genommen hat er ihnen von ihren Gefühlen, nicht gekränkt in ihrer Weiblichkeit, sondern sie beschenkt mit einer neuen Sicherheit ihres Daseins. Gerade das, was der spanische Satanist Don Juan sie als Teufelsaugenblick zu verachten zwingt, das glühende Leib-in-Leib, das loderndeSich-sinken-Lassen, eben das lehrt sie Casanova, der zärtliche Magister artium eroticarum, als den wahren Sinn, als die seligste Pflicht ihrer weibgeborenen Natur erkennen. Mit leichter und liebender Hand streift er gleichzeitig mit den Kleidern alle Verschüchterung, Verängstigung diesen Halbfrauen ab – sie werden erst ganz Frauen, sobald sie sich gegeben haben – er beglückt sie, indem er sich selber beglückt, er entschuldigt ihr Mitgenießen durch die eigene dankbare Ekstase. Denn jeder Genuß einer Frau wird Casanova erst vollkommen, sobald er ihn von seiner Partnerin in Nerv und Adern geteilt und mitempfunden weiß – »vier Fünftel des Genusses bestanden für mich immer darin, die Frauen glücklich zu machen« –, er braucht Gegenlust für seine Lust wie ein anderer Gegenliebe für seine Liebe, und seine herkulischen Leistungen wollen nicht so sehr den eigenen Leib, sondern den der umfangenen Frau erschöpfen und entzücken. Nie lockt ihn wie seinen spanischen Widerpart das grobe und sportliche Gehabthaben, sondern einzig das Gegebenhaben. Deshalb wird jede Frau, die sich ihm hingegeben, mehr Frau, weil wissender, wollüstiger und hemmungsloser, und darum suchen sie auch sofort neue Gläubige dieses beglückenden Kults: die Schwester führt die jüngere zur linden Opferung an den Altar, die Mutter ihre Tochter dem zarten Lehrer zu, jede Geliebte drängt die andere in den Ritus und Reigen des schenkenden Gottes. Genau aus demselben unfehlbaren Instinkt der Weibschwesterschaft, mit dem jede von Don Juan Verführte die neu Umworbene (immer vergeblich!) als vor dem Feinde ihres Geschlechtes warnt, empfiehlt eifersuchtslos eine der andern Casanova als den rechten Vergöttlicher ihres Geschlechtes, und so, wie er über die einzelne Gestalt hinaus die Ganzheit des Weibes, lieben sie über ihn hinweg die Ganzheit des leidenschaftlichen Mannes und Meisters.
Die Jahre im Dunkel
Wie oft habe ich in meinem Leben etwas getan, was mir selber zuwider war und was ich nicht begriff. Aber ich wurde durch eine geheime Macht getrieben, der ich bewußt keinen Widerstand leistete. Casanova in den Memoiren
Gerechterweise dürfen wir es den Frauen
gar nicht vorwerfen, so widerstandslos dem großen Verführer verfallen zu sein: geraten wir doch selbst jedesmal, wenn wir ihm begegnen, in Versuchung, seiner lockenden und lodernden Lebenskunst zu erliegen. Denn es ist für keinen Mann leicht, Casanovas Memoiren ohne rabiaten Neid zu lesen, und in manchen ungeduldig unbefriedigten Augenblicken dünkt uns dieses Abenteurers tolle Existenz, sein mit vollen Händen zupackendes Raffen und Genießen, sein das ganze Dasein wild ansaugendes Epikureertum weiser und wirklicher als unser ephemeres Schweifen im Geiste, seine Philosophie lebensfülliger als alle mürrischen Lehren Schopenhauers und die steinkalte Dogmatik Vater Kants. Denn wie arm scheint unsere festgerammte, nur durch Verzicht gefestigte Existenz in solchen Sekunden, der seinen verglichen! Wir haben Vorurteile und Nachurteile, wir schleifen Kettenkugeln des Gewissens klirrend hinter jedem Schritt, Gefangene unserer selbst, und gehen darum mit schweren Füßen, indes dieses Leichtherz, dieser Leichtfuß alle Frauen faßt, alle Länder überfliegt und auf der sausenden Schaukel des Zufalls sich in alle Himmel und Höllen schnellt. Kein wirklicher Mann kann, er leugne es nicht, die Memoiren Casanovas lesen, ohne sich stümperhaft zu fühlen gegen den illustren Meister der Lebenskunst, und manchmal, nein, hundertmal wollte man lieber er sein als Goethe, Michelangelo oder Balzac. Lächelt man anfangs ein wenig kühl über die Schöngeistereien und breiten Radamontaden dieses philosophisch verkleideten Filous, so ist man im sechsten, im zehnten, im zwölften Bande schon geneigt, ihn für den weisesten Menschen und seine Philosophie der Oberflächlichkeit für die klügste und bezauberndste aller Lehren zu halten.
Aber glücklicherweise bekehrt uns Casanova selbst
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