Drei Dichter ihres Lebens
kleine Dirne gleichzeitig gratis ein dummes, freches Bürschchen, einen Friseurgehilfen mit all dem beglückt, was er mit gierigen Sinnen, mit Aufbietung von Geld, List und Gewalt vergebens erstrebt – das ist der Mordschlag für Casanovas Selbstbewußtsein, und von jener Stunde an wird sein triumphierendes Auftreten irgendwie unsicher und schwank. Vorzeitig, im vierzigsten Jahr, muß er erschrockenfeststellen, daß der Motor, der ihm den sieghaften Vorstoß in die Welt gegeben, nicht mehr tadellos funktioniert, und zum erstenmal überkommt ihn Angst, steckenzubleiben: »Am meisten Kummer bereitete mir, daß ich einen Beginn von Abspannung eingestehen mußte, der gewöhnlich mit dem herannahenden Alter verbunden ist. Ich besaß nicht mehr jene sorglose Zuversicht, welche Jugend und Kraftbewußtsein verleihen.« Aber Casanova ohne Selbstzuversicht, Casanova ohne seine allzeitbereite, frauenberauschende Übermanneskraft, ohne Schönheit, ohne Potenz, ohne Geld, ohne das frech aufpochende, willensgewisse, siegsichere Paradieren als des Phallus und der Fortuna Liebling, was ist er noch, sobald er diesen Haupttrumpf im Weltspiel verloren? »Ein Herr von gewissem Alter«, erwidert er selbst melancholisch, »von dem das Glück nichts mehr wissen will und die Frauen erst recht nicht«, ein Vogel ohne Flügel, ein Mann ohne Männlichkeit, ein Liebhaber ohne Glück, ein Spieler ohne Kapital, ein trister gelangweilter Körper ohne Spannkraft und Schönheit. Zerblasen alle Fanfaren vom Triumph und der Alleinweisheit des Genießens: zum erstenmal schleicht sich das gefährliche Wörtchen »Verzicht« in seine Philosophie. »Die Zeit, wo ich Frauen verliebt gemacht habe, ist vorüber, ich muß entweder auf sie verzichten oder ihre Gefälligkeit erkaufen.« Verzichten, der unfaßbarste Gedanke für einen Casanova, wird grausam wahr, denn um Weiber zu kaufen, brauchte er Geld, das Geld aber schafften ihm immer nur die Weiber: der wundervolle Kreislauf stockt, das Spiel geht zu Ende, der langweilige Ernst beginnt auch für den Meister aller Abenteuer. Und so wird – alter Casanova, armer Casanova – der Genießer zum Schmarotzer, der Weltneugierige zum Spion, der Spieler zum Betrüger und Bettler, der heitere Gesellige zum einsamen Schreiber und Pasquillanten.
Erschütterndes Schauspiel: Casanova rüstet ab, der alte Held unzähliger Liebesschlachten, er wird vorsichtig und bescheiden, der göttliche Frechling und verwegene Spielmensch; ganz leise, ganz drückerisch und still tritt der große commediante in fortuna von der Bühne seiner Erfolge. Er legt die prunkvollen Kleider ab, »die meiner Lage nicht mehr entsprachen«, legt mit Ringen und Diamantschnallen und Dosen auch seinen herrlichen Hochmut ab, wirft seine Philosophie wie eine gestochene Karte unter den Tisch, beugtalternd den Nacken vor dem ehern unerbittlichen Gesetz des Lebens, demzufolge verblühte Dirnen zu Kupplerinnen, Spieler zu Falschspielern, Abenteurer zu Tellerleckern werden müssen. Seit ihm das Blut nicht mehr so warm im Leib umrollt, beginnt der alte Citoyen du monde plötzlich zu frieren inmitten seiner einst so geliebten Weltunendlichkeit und sich ganz sentimental nach Heimat zu sehnen. So senkt der ehemalige Stolze – armer Casanova, der nicht edel zu enden wußte! – reumütig das schuldige Haupt und bittet das venezianische Governo kläglich um Verzeihung: er schreibt speichelleckerische Berichte an die Inquisitoren, verfaßt ein patriotisches Libell, eine »refutatione« der Angriffe auf die venezianische Regierung, in der er sich nicht zu schreiben schämt, die Bleidächer, in denen er geschmachtet, seien »Räume mit guter Luft« und geradezu ein Paradies der Humanität. Von diesen traurigsten Episoden seines Lebens steht nichts mehr in den Memoiren: sie enden vorzeitig und erzählen nicht mehr die Jahre der Schande. Er tritt ins Dunkel zurück, vielleicht, um ein Erröten zu verbergen, und fast freut man sich dessen, denn wie traurig parodiert dieser ausgebälgte Hahn, dieser ausgesungene Sänger den sieghaft Frohen, den wir so lange beneidet!
Und dann schleicht ein paar Jahre lang über die Merceria ein dicker sanguinischer Herr, nicht sehr edelmännisch gekleidet, horcht emsig, was die Venezianer reden, setzt sich in die Weinschänken, um die Verdächtigen zu beobachten, und skribelt abends langwierige Spionenberichte an die Inquisitoren. Angelo Pratolini sind diese unsauberen Informationen unterschrieben. Deckname eines begnadigten
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