Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
1.Teil: Zeuge von Taten der Kraft
Eine Verabredung mit der Kraft
Seit Monaten hatte ich Don Juan nicht gesehen. Es war jetzt Herbst 1971. Ich war überzeugt, daß er sich bei Don Genaro in Zentralmexiko aufhielt, und so traf ich die nötigen Vorbereitungen für eine sechs- oder siebentägige Fahrt, um ihn zu besuchen. Doch am zweiten Tag meiner Reise, am Spätnachmittag, machte ich, einer Eingebung folgend, an Don Juans Wohnort im Staat Sonora halt. Ich parkte das Auto und ging die kurze Entfernung bis zu seinem Haus zu Fuß. Zu meiner Überraschung traf ich ihn dort an.
»Don Juan! Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu treffen«, sagte ich.
Er lachte; meine Überraschung schien im Spaß zu machen. Er saß auf einer leeren Milchbütte vor der Haustür. Er schien auf mich gewartet zu haben. Die Ungezwungenheit, mit der er mich begrüßte, war irgendwie vollendet. Er nahm den Hut ab und schwenkte ihn mit einer komischen Gebärde. Dann setzte er ihn wieder auf und grüßte militärisch. Er lehnte sich an die Wand und saß dabei auf der Bütte, als wäre es ein Sattel. »Setz dich, setz dich«, sagte er in jovialem Tonfall. »Wie gut, dich wiederzusehen.«
»Fast wäre ich umsonst den ganzen Weg nach Zentralmexiko gefahren«, sagte ich. »Und dann hätte ich nach Los Angeles zurückfahren müssen. Daß ich dich hier antreffe, erspart mir viele Tage Autofahrt.«
»Irgendwie hättest du mich schon gefunden«, sagte er mit geheimnisvoller Stimme, »aber nehmen wir an, du schuldest mir nun sechs Tage, die du gebraucht hättest, um hinzufahren -Tage, die du nutzen solltest, um etwas Interessanteres zu tun, als das Gaspedal deines Autos zu drücken.« Don Juans Lächeln war irgendwie gewinnend. Seine Herzlichkeit war ansteckend. »Wo ist dein Schreibzeug?« fragte er.
Ich sagte ihm, ich hätte es im Auto gelassen; er meinte, ohne es sähe ich unnatürlich aus, und so hieß er mich gehen und es holen.
»Ich habe gerade ein Buch abgeschlossen«, sagte ich. Er warf mir einen langen, seltsamen Blick zu, der mir ein Kribbeln in der Magengrube verursachte. Es war. als ob er einen weichen Gegenstand gegen meinen Bauch preßte. Ich glaubte, ich müsse mich übergeben, aber dann wandte er den Kopf zur Seite, und ich gewann mein ursprüngliches Wohlbefinden wieder.
Ich wollte über mein Buch sprechen, aber er machte eine Geste, die mir bedeutete, er wolle nicht, daß ich etwas darüber sagte. Er lächelte. Seine Stimmung war unbeschwert und bezaubernd, und er verwickelte mich sofort in ein zwangloses Gespräch über Leute und aktuelle Ereignisse. Schließlich gelang es mir, die Unterhaltung auf das Thema zu lenken, das mich interessierte. Ich fing an, indem ich erwähnte, ich hätte meine früheren Notizen noch einmal durchgesehen und festgestellt, daß er mir schon von Anfang unserer Beziehung an eine detaillierte Beschreibung der Welt eines Zauberers gegeben habe. Im Lichte dessen, was er mir in jenem ersten Stadium gesagt habe, sei ich dahin gelangt, die Bedeutung der halluzinogenen Pflanzen in Frage zu stellen. »Warum hast du mich diese Pflanzen so viele Male einnehmen lassen?« fragte ich. Er lachte und murmelte ganz leise: »Weil du ein Tölpel bist.« Ich hatte ihn wohl verstanden, aber ich wollte mich vergewissern und tat so, als hätte ich nicht recht gehört. »Wie bitte ? « fragte ich.
»Du weißt sehr gut, was ich gesagt habe«, antwortete er und stand auf.
Im Vorbeigehen tätschelte er mir den Kopf. »Du bist ziemlich schwer von Begriff«, sagte er. »Und es gab keine andere Möglichkeit, dich aufzurütteln.«
»Also war das alles nicht absolut notwendig?« fragte ich. »Doch, das war es. in deinem Fall. Es gibt aber andere Menschentypen, die dies anscheinend nicht brauchen.« Er stand neben mir und blickte unverwandt auf die Wipfel der Büsche an der linken Seite seines Hauses; dann setzte er sich und sprach über Eligio, seinen anderen Lehrling. Eligio, sagte er, habe nur einmal psychotrope Pflanzen genommen, seit er sein Lehrling geworden sei, und doch habe er vielleicht mehr Fortschritte gemacht als ich.
»Sensibel zu sein ist für manche Menschen ein natürlicher Zustand«, sagte er. »Du bist es nicht. Aber ich auch nicht. Letzten Endes kommt es auf die Sensibilität überhaupt nicht an.«
»Was ist es denn, worauf es ankommt?« fragte ich. Er schien nach einer passenden Antwort zu suchen. »Es kommt nur darauf an, daß ein Krieger makellos ist«, sagte er schließlich. »Aber das ist bloß eine
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