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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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sollte endlich losgehen. Renate wartete auf uns und wurde gerne ungeduldig. Typisch Lehrerin: sich selbst auf dem Gang verquatschen, aber kommt ein Schüler zu spät, setzt es was mit der roten Tinte. Ich konnte meinen Klassenbucheintrag kaum erwarten.
    »Was soll ich machen, ich komm nicht rein!«, erklärte ich ihr von außen und bewegte mich keinen Strich. Es war unschwer zu erkennen, Nele hatte bereits angefangen zu transpirieren, während sie verzweifelt versuchte, die Tür zu öffnen und den Fahrersitz ein bisschen bequemer einzustellen. Ihre Wangen waren gerötet, und unter den Armen zeigte das T-Shirt erste feuchte Ränder. Zum Glück durften wir Deo benutzen und mussten nicht irgendeine Paste aus Bärlauch in die Achselhöhlen schmieren. Wir brachen nämlich nicht zu einem sanften Urlaub, einer Wellnessreise auf, es handelte sich hier vielmehr um einen Trip in die Vergangenheit. Hallo, 80er, nicht erschrecken, wir sind wieder da!
    »Trudi!«
    »Himmel, ja!«
    Während ich unmotiviert an der Tür zog, versuchte ich mich so zu drehen, dass der Spruch auf der Jutetasche über meiner Schulter nicht erkennbar war. Jute statt Plastik .Welch ein Hohn, wenn man die dunkelgrünen Isomatten sah, die neben den Schlafsäcken im Auto steckten. Aus welchem Material waren die denn wohl? An meinem Schlafsack baumelte immerhin das Prädikatszeichen Echte Daunen .Aber echte Daunen aus den 80ern waren bei weiterem Nachdenken doch wieder bedenklich, stellte man sich die Massen an Filzläusen, Milben und Ungeziefer vor, die über die Jahrzehnte in den Federn ungestört Familiendynastien gegründet hatten. Im Stillen beschloss ich, die uns aufgezwungenen 80er-Jahre-Regeln, sooft es ging, zu brechen. Überhaupt, das waren doch die wahren 80er! Dagegen sein und Opposition sein, alles verweigern, wozu man von der Gesellschaft gezwungen wurde – und wenn die Gesellschaft auch nur aus den beiden besten Freundinnen bestand. Demonstrativ griff ich in die Hosentasche und zerknüllte mit verschwitzten Fingern den Zettel mit Regeln, den Anna und Sarah uns mitgegeben hatten. Allein diese Vorschriften machten diese Reise zu meinem persönlichen Alptraum:

    Kein, kein, kein. Alle geselligen und freudvollen Buchstaben waren den Mädels offensichtlich aus dem Alphabet gefallen.
    Zumindest durften wir abends Rotwein trinken, wenn unsere Kasse das denn erlaubte. Die hatten sie uns auch schon abgezählt. Irgendwas von fünfundzwanzig Euro pro Tag hatte Nele mir zugenuschelt, weil wir früher immer mit fünfzig Mark pro Tag ausgekommen waren. Zu DRITT ! Dabei durfte ich im Grunde gar nicht entrüstet motzen, denn schließlich war es meine Schuld, dass wir diesen schrottigen R4 beluden. Beim letzten Weihnachtsfest hatte ich naiv und angeschickert diese unheilvolle Geschichte angestoßen. Wie bei einem Trauma stiegen die Bilder jetzt in mir hoch, so dass ich erschöpft meine Hände sinken ließ und dem gespenstischen Spektakel in meinem Inneren folgte.
    Wie jedes Jahr hatten wir auch im letzten Weihnachten zusammen gefeiert. Nele, Renate und ich, zusammen mit Kindern und Familien. Schön war es gewesen. Der Baum, die Kerzen und der Tisch voll mit allem, was ganz schnell auf all die Hüften will. Als ich mein Geschenk von Anna auspackte, konnte mich nichts mehr halten, denn Tannenbaum-Sentimentalität, Sekt, Rotwein und zu viele Schnäpse hatten mich übermütig gemacht. Ihr Geschenk, ein wunderschönes Tagebuch, erinnerte mich an die hundert anderen Tagebücher, die ich in meiner Jugend vollgeschrieben hatte. Natürlich hatte ich alle aufbewahrt. Still ruhten sie mit ihren Geschichten in einer Holzkiste, und ich hatte sie seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen. Aber alle am Tisch wussten von den Büchern, denn in ihnen war die gesamte Freundschaftsgeschichte dokumentiert und mit Fotos und Bleistiftzeichnungen zusätzlich geschmückt. Jahr für Jahr konnte man sich durch die einzelnen Phasen unseres Lebens lesen, den Lieben, den Trennungen. Eintragungen, die von Umzügen, Neuanfängen erzählten, Schwangerschaften, Geburten, dass Anna als Kind am liebsten Frischkäse gegessen hatte und dass Sarah bei der Einschulung krank geworden war. Die Bücher waren das Archiv unserer Freundinnen-Wahlfamilie.
    »Ich zeig euch was!«, hörte ich mich jetzt noch sagen und stöhnte dabei leise auf. Im Sektdämmer hatte ich nämlich gesucht, und schließlich holte ich die alte Holzkiste hervor, klappte sie auf und: »Da sind sie ja! Schaut mal, das ist das Tagebuch von

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