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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
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daran erinnerte ich mich noch genau. Voller Elan und Tatendrang hatte ich mich nach einer durchdiskutierten Nacht im Morgengrauen an die Nähmaschine gesetzt und dieses Teil aus einem schlampig gebatikten Bettlaken genäht. Die Ränder der Flagge waren demütigend krumm, und das runde Frauenzeichen in der Mitte zeigte eine leicht besoffene Form. Ich hatte das Teil seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.
    »Wo habt ihr die denn her?«, fragte ich Anna und Sarah, nichts Gutes ahnend, wenn sie in irgendeinem Keller schon die Fahne gefunden hatten. Aber anstatt brav die Tante aufzuklären, übergingen sie meine Frage. Es blieb also spannend und mir nach und nach die Spucke weg.
    Wir öffneten weitere Päckchen, und immer mehr Plunder trat zutage. Alles altes, modriges Zeug, das ich schnell als authentische Habseligkeiten der 80er identifizierte. Eine Brieftasche aus Kamelleder, die auch jetzt noch grässlich stank. Ein Füllermäppchen, das aus einem alten Drum-Tabaksbeutel gebastelt war. Drum und drum herum. Eine Hose, deren Beine in Fransen gerissen waren. Schmuck, den wir dereinst gebastelt hatten, und alte Silberzwiebelgläschen, die uns früher als Campingaschenbecher dienten, wurden jetzt juwelengleich bestaunt, und das, obwohl kaum ein Mensch mehr raucht. Sogar die verbeulte Niveadose hatten sie gefunden, die damals im Frankreichurlaub unsere Haushaltskasse gewesen war. »Ich werd verrückt!!« Renate hielt die Dose wie eine Trophäe in die Luft, doch längst waren unsere Partygäste in ihre eigenen Geschichten von damals vertieft, und Erinnerungen ploppten auf wie Sektflaschen, die zu lange in der Sonne gestanden haben. Ein Gemurmel stieg über den Köpfen auf, das hauptsächlich aus Satzfetzen wie »Damals haben wir …«, »Spontigruppe«, »Demo«, »Ostermarsch« und »Frauenfrühstück« bestand. Wie ein Lauffeuer breitete sich die Geschichte aus, und alle tauchten ein und ließen sich in ihre eigene Jugendzeit entführen. Das ist der passende Moment, um diese Party zu verlassen, dachte ich für mich und erhob mich von meinem Hocker, der zu einer Campingausrüstung gehörte, wie ich angstvoll registrierte.
    »Hiergeblieben!« Anna drückte mich wieder auf meinen Platz und ließ das Glöckchen erneut erklingen. Sie zeigte bedeutungsvoll nach vorn. Das Gemurmel wurde still, und alle schauten gespannt zu Sarah. Sie stand vor einer Leinwand, die ich bis dahin gar nicht bemerkt hatte. Nach einem kurzen Nicken wurde das erste Bild auf die Fläche projiziert. Ich erkannte einen alten R4 in feurigem Rot. Ein paar der Gäste klatschten lachend in die Hände. Ich ließ eine Kette durch meine Hände gleiten, als wäre es ein Rosenkranz. Heilige Mutter, steh mir bei, vergib mir meine Sünden, auch die Hochnäsigkeit gegenüber meinem Kollegen Paul, den ich noch immer für ein Arschloch halte. Das war nicht gut gebetet, denn es folgte eine bunte Präsentation mit vielen Bildern, die ganz klar eine Reiseroute zeigte, und zwar von Landau über Basel in die Emilia-Romagna, eine der schönsten Regionen Italiens.
    Sarah hielt gut sichtbar eine Postkarte in die Luft, die aus den 80ern stammen musste. War das nicht Renates Schrift?
    »Diese Karte«, erklärte Anna nun der Runde, »hat Renate mit zwanzig Jahren geschrieben.« Sie las die Zeilen laut vor.

    »Das hat 1982 aber nicht geklappt.« Mit einem breiten Grinsen sahen alle zu Sarah hin.
    »Und was ist das für ein Zelt?«, stotterte ich trotz der Spannung, die sich gerade aufbaute. Schlimmes ahnend, stemmte ich mich aus dem Sitz und zeigte zu einem neuen Foto hin, das ein Zelt zeigte, nicht größer als für drei Personen.
    »Deswegen möchten wir euch jetzt, zu eurem hundertfünfzigsten Geburtstag, endlich …«
    Anna schien wie ein Karpfen unter Wasser zu blubbern. Obwohl der Rest des Satzes wichtig für mich war, konnte ich kein Wort verstehen, weil jemand Hannes Wader auf einen alten Schallplattenspieler gelegt hatte und seine Balladen nun aus den Boxen jagten. Waders Heute hier, morgen dort dröhnte in ohrenbetäubender Lautstärke durch den Pfälzer Wald. Das Blattwerk zitterte, und ich zitterte mit, und erst als die Arschkriecherballade begann, erbarmte sich jemand und stellte die Musik wieder ab. Weder Nele noch Renate erkannten meine Angst. Beide waren ganz verzückt und verliebt in die Sachen, die sie weiter aus den Päckchen zogen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Renate ein Bürstchen und ein Farbtöpfchen bestaunte, mit dem wir uns früher gegenseitig Wimpern

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