Drei Männer im Schnee
kinderleicht zu verwirklichen. Doch auch die siamesischen Katzen…
»Der Geheimrat kommt«, flüsterte Frau Kunkel aufgeregt.
»Guten Tag«, sagte Hilde und legte den Hörer auf.
Brandes fuhr sie zum Anhalter Bahnhof. Hilde und die Kunkel kamen mit. Tobler liebte es, wenn seinetwegen Taschentücher geschwenkt wurden.
»Lieber Johann«, meinte er im Auto, »vergessen Sie nicht, was ich angeordnet habe. Wir wohnen in München ein paar Stunden im
›Regina‹. Morgen mittag verwandle ich mich in Herrn Schulze. Sie besorgen einen Karton und bringen den Anzug, den ich jetzt anhabe, die Wäsche, Strümpfe und Schuhe zur Post. Ich verlasse das Münchner Hotel im Gehpelz. Wir nehmen ein Taxi. Im Taxi ziehe ich Schulzes Flauschmantel an. Und Sie übernehmen Toblers Pelz.
Als den Ihrigen. Vom Starnberger Bahnhof ab kennen wir uns nicht mehr.«
»Darf ich wenigstens Ihren Spankorb zum Zug tragen?« fragte Johann.
»Das kann ich selber«, sagte Tobler. »Im übrigen werden wir ab München in getrennten Kupées reisen.«
»Die reinste Kriminalgeschichte«, erklärte Hilde.
Nach einer Weile fragte Frau Kunkel: »Wie werden Sie das nur aushalten, Herr Geheimrat? Ohne Massage. Ohne Kognak. Ohne den warmen Ziegelstein. Ohne bürgerliche Küche. Und ohne Ihre Katzen im Schlafzimmer!« Sie zwickte Hilde schelmisch in den Arm.
Tobler erklärte: »Hören Sie bloß damit auf! Mir hängen die alten, lieben Gewohnheiten längst zum Hals heraus. Ich bin heilfroh, daß ich denen endlich einmal entwischen kann.«
»So, so«, sagte Frau Kunkel und machte eines ihrer dümmsten Gesichter.
Sie kamen ziemlich spät auf den Bahnsteig. Es war gerade noch Zeit, einige überflüssige Ermahnungen anzubringen. Und Johann mußte, bevor er einstieg, Hilde hoch und heilig versprechen, mindestens jeden zweiten Tag einen ausführlichen Bericht zu schicken. Er versprach’s und kletterte in den Wagen.
Dann fuhr der Zug an. Hilde und Frau Kunkel zückten ihre Taschentücher und winkten. Der Geheimrat nickte vergnügt. Schon glitten die nächsten Waggons an den Zurückbleibenden vorüber.
Und eine kleine, alte Frau, die neben dem Zug hertrippelte, stieß mit Hilde zusammen.
»Willst du dich wohl vorsehen!« rief ein junger Mann, der sich aus einem der Fenster beugte.
»Komm du nur wieder nach Hause, mein Junge!« antwortete die alte Frau und drohte ihm mit dem Schirm.
»Auf Wiedersehen!« rief er noch. Hilde und er sahen einander flüchtig ins Gesicht.
Dann rollte der letzte Wagen vorbei. Der D-Zug Berlin-München begab sich, stampfend und schimpfend, auf die nächtliche Reise. Es schneite wieder. Man konnte es vom Bahnsteig aus ganz deutlich sehen.
Das fünfte Kapitel - Grandhotel Bruckbeuren
Das Grandhotel in Bruckbeuren ist ein Hotel für Stammgäste. Man ist schon Stammgast, oder man wird es. Andre Möglichkeiten gibt es kaum.
Daß jemand überhaupt nicht ins Grandhotel gerät, ist natürlich denkbar. Daß aber jemand ein einziges Mal hier wohnt und dann nie wieder, ist so gut wie ausgeschlossen.
So verschieden nun diese Stammgäste sein mögen, Geld haben sie alle. Jeder von ihnen kann sich’s leisten, die Alpen und ein weiß gekacheltes Badezimmer – das gewagte Bild sei gestattet – unter einen Hut zu bringen. Schon im Spätsommer beginnt der Briefwechsel zwischen Berlin und London, zwischen Paris und Amsterdam, zwischen Rom und Warschau, zwischen Hamburg und Prag. Man fragt bei den vorjährigen Bridgepartnern an. Man verabredet sich mit den altgewohnten Freunden vom Skikurs. Und im Winter findet dann das Wiedersehen statt.
Den Stammgästen entspricht ein außerordentlich dauerhaftes Stammpersonal. Die Skilehrer bleiben selbstverständlich die gleichen. Sie leben ja immerzu in Bruckbeuren. Sie sind im Hauptberuf Bauernsöhne oder Drechsler oder Besitzer von schummrigen Läden, in denen Postkarten, Zigaretten und seltsame Reiseandenken verkauft werden.
Doch auch die Kellner und Köche, Kellermeister und Barkeeper, Chauffeure und Buchhalter, Tanzlehrer und Musiker, Stubenmädchen und Hausburschen kehren zu Beginn derWintersaison, so gewiß wie der Schnee, aus den umliegenden Städten ins Grandhotel zurück. Nur der eigene Todesfall gilt als einigermaßen ausreichende Entschuldigung. Der Geschäftsführer, Herr Direktor Kühne, hat seinen Posten seit zehn Jahren inne. Er zieht zwar den Aufenthalt in Gottes freier Natur dem Hotelberuf bei weitem vor. Aber hat er damit unrecht? Er ist ein vorzüglicher Skitourist. Er verschwindet
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